Handelsblatt, 04.04.2016, S. 48
Der Immobilienboom bleibt nur durch Zinserhöhungen beherrschbar, schreibt Hans-Werner Sinn.
Die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank haben viele Beobachter schockiert. Da wird der Hauptrefinanzierungssatz auf null gesetzt, die monatlichen Anleihekäufe werden um 20 Milliarden aufgestockt, der Zins auf die Einlagen der Banken bei der Notenbank wird auf - 0,4 Prozent gesenkt, und die EZB vergibt Kredite mit negativen Zinsen von ebenfalls bis zu - 0,4 Prozent.
Es gibt viele vordergründige Erklärungen für diese Politik, doch im Kern handelt es sich um einen weiteren Versuch der EZB, sich dem Platzen der Blase entgegenzustellen, die der Euro in seinen ersten Jahren in den südeuropäischen Ländern hervorgerufen hatte, nachdem schon seine Ankündigung beim Gipfel von Madrid im Jahr 1995 die Zinsen purzeln ließ. Die Zinssenkung trieb die Länder Südeuropas in eine inflationäre Kreditblase, die die Güter- und Immobilienpreise relativ zu Deutschland und anderen nördlicheren Ländern explodieren ließ und die Wettbewerbsfähigkeit lädierte. Als die Blase platzte, versuchte die EZB, die Rückkehr der total überhöhten Preise auf ihr Gleichgewichtsniveau mit der Druckerpresse und der Abgabe umfangreicher Haftungsversprechen gegenüber den Finanzinvestoren zu verhindern. Auch die neuesten Maßnahmen der EZB sind so zu interpretieren.
Diese Politik war zur Zeit der Lehman-Krise angemessen, weil die ganze Welt einen Kollaps erlitten hatte, doch als die Weltwirtschaft im Herbst 2009 wieder anzog, wurde sie zunehmend problematisch, weil sie in den südlichen Ländern strukturelle Reformen entbehrlich machte und die im Vergleich zum Norden notwendige Disinflation hinauszögerte, wenn nicht gar, wie in Portugal und Italien, vollständig verhinderte. Südeuropa war der Droge des billigen Kredits verfallen, doch anstatt den Entzug zu organisieren, besorgte die EZB Ersatzdrogen, als der normale Zustrom von Drogen in Form privater Kapitalzuflüsse versiegte und Kopfschmerzen einsetzten. Sie schuf Junkie-Ökonomien, die ohne Drogen nicht mehr leben können.
Einen ähnlichen Fehler hatte man in Japan gemacht, nachdem die Immobilienblase im Jahr 1990 geplatzt war. Die japanische Notenbank hat die Wirtschaft über zwei Jahrzehnte mit Geld zu Nullzinsen überschwemmt, und der japanische Staat betrieb ein so energisches Deficit-Spending, dass die staatliche Schuldenquote von 67 auf mittlerweile 246 Prozent stieg, wobei der letzte Schub der zweifelhaften "Abenomics-Politik" des Premierministers Shinzo Abe zu verdanken war. Geholfen hat alles nichts, denn weder Geld- noch Fiskalpolitik können strukturelle Reformen ersetzen. Ganz im Gegenteil. Je mehr von den keynesianisch-monetaristischen Drogen ausgegeben wird, desto stärker erlahmen die Selbstheilungskräfte der Märkte und die Bereitschaft der Politik wie auch der Wirtschaft, der Bevölkerung schmerzhafte Entziehungskuren zuzumuten.
Das ist nicht der einzige Nachteil der EZB-Politik. Als größtes Problem könnte sich erweisen, dass durch die Politik des billigen Geldes auch die noch gesunden Volkswirtschaften drogenabhängig werden. Anzeichen dafür gibt es bereits. So sind die Immobilienmärkte Deutschlands, Luxemburgs und Österreichs in der Krise außer Rand und Band geraten, weil die Banken den Käufern das Geld hinterherwerfen. In Österreich sind die Immobilienpreise seit dem Ausbruch der Lehman-Krise um bald die Hälfte gestiegen, und in Luxemburg um fast ein Drittel.
Selbst Deutschland, Europas größte Volkswirtschaft, erlebt seit 2010 einen gewaltigen Immobilienboom. So gingen die Preise der Immobilien in den Städten seitdem insgesamt um mehr als ein Drittel nach oben, und in den Großstädten stiegen sie sogar um fast die Hälfte. Ein Bauboom hat das Land erfasst, wie er seit der deutschen Vereinigung nicht mehr zu beobachten war.
Noch wäre der deutsche Immobilienboom durch energische Zinserhöhungen beherrschbar, doch angesichts der wilden Entschlossenheit, mit der die EZB in die Gegenrichtung marschiert, muss man eine weitere Vergrößerung der Blase erwarten. Platzt sie, wie es Immobilienblasen zu tun pflegen, käme es zum Gau für den Euro. Dafür würde die neue, Euro-kritische Partei AfD schon sorgen.