Handelsblatt, 19. April 2017, S. 48
Der amerikanische Präsident kritisiert den enormen deutschen Leistungsbilanzüberschuss und hält ihn für das Ergebnis einer deutschen Währungsmanipulation. Das kann so nicht stehen bleiben. Richtig ist, dass der Überschuss groß, ja zu groß ist. Falsch ist, dass er aufgrund von Manipulationen zustande kam.
Mit einem Wert von acht Prozent des BIP ist der deutsche Leistungsbilanzüberschuss in der Tat extrem hoch, und er wäre noch höher, wohl gut zehn Prozent, hätte Deutschland in den Jahren der Krise noch die Zinsen auf sein Nettoauslandsvermögen verdient, die es zuvor im Jahr 2007 erhielt. Der Überschuss ist, hier hat Präsident Trump recht, dadurch zu erklären, dass Deutschland Waren extrem günstig verkauft. Der Euro ist gegenüber dem Dollar zu billig, Deutschland gegenüber den Handelspartnern im Euro zu billig. Die Unterbewertung impliziert eine hohe Nachfrage nach deutschen Waren im Ausland und eine Zurückhaltung der Deutschen beim Import.
Der Euro steht derzeit bei etwa 1,07 Dollar, während die OECD-Kaufkraftparität bei 1,29 Dollar liegt. Das impliziert eine Unterbewertung des Euros um 17 Prozent. Ferner ist Deutschland im Euro um 19 Prozent zu billig, wenn man eine Rechnung der volkswirtschaftlichen Abteilung von Goldman Sachs aus dem Jahr 2013 zugrunde legt und die inzwischen realisierte reale Aufwertung Deutschlands auf dem Wege einer leicht überdurchschnittlichen Inflation abzieht. Deutschland ist insgesamt um etwa ein Drittel unterbewertet. Die Frage ist, wie es dazu kam.
Die Unterbewertung im Euro hat ihre Ursache in der inflationären Kreditblase, die die Ankündigung des Euros beim Madrider Gipfel des Jahres 1995 auf dem Wege über dramatische Zinssenkungen auslöste. In Italien, Spanien und Portugal fielen die Zinsen um gut fünf Prozentpunkte, in Griechenland gar um etwa 20 Prozentpunkte, nachdem klar gewesen war, dass auch dieses Land mitmacht. Der billige Kredit, den der Euro den Ländern brachte, ermöglichte es Staat und Bauindustrie, Lohnerhöhungen zu finanzieren, die weit über den Produktivitätsfortschritt hinausgingen. Das trieb die Güterpreise in die Höhe und unterminierte die Wettbewerbsfähigkeit der Industrien dieser Länder. Deutschland, dessen Inflation wegen einer langwährenden Flaute gering blieb, wie es der Maastrichter Vertrag gebot, wurde dadurch relativ gesehen immer billiger.
Die Unterbewertung des Euros hat zwei Ursachen. Die eine liegt in der ultralockeren Geldpolitik der EZB, speziell ihrem QE-Programm, nach dem in drei Jahren für 2 300 Milliarden Euro mit frisch gedrucktem Geld Wertpapiere im Euro-Raum gekauft werden. Ein Teil des vielen Geldes drängt ins Ausland und führt so zu einer Abwertung des Euros. Man muss zugeben, dass dies eine indirekte Währungsmanipulation ist. Zu bedenken ist aber, dass das QE und auch andere expansive Maßnahmen der EZB von der Mehrheit des EZB-Rats gegen den erbitterten Widerstand der Deutschen Bundesbank beschlossen wurden.
Die andere Ursache der Unterbewertung des Euros liegt in den USA selbst. Mit dem Rückhalt des Dollars als Weltwährung hat es die amerikanische Finanzwirtschaft in den letzten Jahrzehnten geschafft, den Anlegern der Welt ein breites Potpourri an verlockenden Finanzprodukten anzubieten. Das trieb den Dollar-Kurs in eine Höhe, die die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie unterminierte.
Deshalb sollte Präsident Trump seinen Blick eher auf die Wall Street als auf Deutschland richten, wenn er den hohen Dollar-Kurs beklagt, der Amerika so viele Jobs in der Industrie gekostet hat. Und er sollte bedenken, dass die verlockenden Finanzprodukte, die aus seinem Land kamen und der US-Exportindustrie zugesetzt haben, manchmal eher Mogelpackungen als seriöse Anlagetitel waren. Seine Vorgänger Jimmy Carter und Bill Clinton hatten die Broker mit ihrem Community Reinvestment Act veranlasst, den Armen des Landes mit großzügigen Krediten zu Wohneigentum zu verhelfen, obwohl klar war, dass diese Menschen die Kredite nicht würden zurückzahlen können. Die Broker verkauften ihre Kreditforderungen an die Banken, und die verpackten sie geschickt in undurchsichtigen ABS-Papieren, die sie dann der ganzen Welt andrehten. Der Schwindel flog in der Finanzkrise auf.
Bereits im Jahr 2010 musste der deutsche Staat seinen Banken mit 280 Milliarden Euro bei der Gründung zweier Bad Banks zur Seite springen, die diese problematischen Finanzprodukte aus Amerika aufnahmen. Ein erheblicher Teil der vielen Porsches, Mercedes und BMWs, die nach Amerika geliefert wurden, ist so gesehen gar nicht bezahlt worden. Das sollte der neue amerikanische Präsident bedenken, bevor er einen Handelskrieg vom Zaun bricht oder auch nur über Twitter ungerechtfertigte Anschuldigungen gegen andere Länder verbreitet.
Nachzulesen bei www.handelsblatt.com