Der bittere Sieg der Demokratie

Die Bundestagswahl ist eine historische Zeitenwende, glaubt Hans-Werner Sinn.
Hans-Werner Sinn

Handelsblatt, 26. September 2017, S. 48

Demokratie kann bitter sein, denn diese Staatsform bedeutet, dass die Leute nicht das wählen, was die Eliten für richtig halten, sondern das, was sie wollen. Das haben nun jene erfahren, die glaubten, sich über den Ärger der Menschen hinwegsetzen zu können. Die Wahl ist eine Zeitenwende, weil sie die AfD als neue Kraft in Deutschland etabliert hat und weil sie die FDP mit einem fulminanten Ergebnis in den Bundestag zurückgeholt hat.

Christian Lindner hatte den richtigen Riecher, als er die Partei eurokritischer aufstellte als seine Vorgänger, die von Genscher daran gehindert worden waren, sich zur Kanalisierung der wachsenden Euroskepsis anzubieten. Er kann nun eine kraftvolle Oppositionsrolle wahrnehmen oder der Regierung den Stempel aufdrücken.

Horst Seehofer hat hingegen auf das falsche Pferd gesetzt. Die parteiinternen Ratgeber, die ihn im Wahlkampf zu einem Kuschelkurs mit der Kanzlerin überreden konnten, haben seine Glaubwürdigkeit beschädigt. Er hätte sich lieber auf seine eigene Witterung verlassen sollen.

Die Geburtshelferin der AfD ist die Kanzlerin, die rechts zu viel Platz ließ. Mit ihrer Flüchtlings- und Euro-Politik hat sie das geschriebene Recht gedehnt, wenn nicht gar gebrochen und sowohl hochkarätige Verfassungsjuristen als auch weite Teile der Bevölkerung gegen sich aufgebracht.

Die SPD hat schon erklärt, dass sie keine große Koalition mehr mitmacht. Das ist entgegen anderslautenden Beteuerungen das Aus für Martin Schulz. Sigmar Gabriel, Andrea Nahles und Thomas Oppermann werden nun wohl um den Parteivorsitz und den Fraktionsvorsitz kämpfen, denn für alle reicht der Platz nun einmal nicht.

Die SPD steht heute für die Rückabwicklung der Agenda 2010, die als eines der Glanzstücke der sozialdemokratischen Nachkriegspolitik gelten kann. Frühverrentung, Mindestlöhne und Mietpreisbremsen im Verein mit einer solidarischen Willkommenskultur sind das Gegenteil des pragmatischen und marktwirtschaftlichen Kurses, der die Partei unter der Führung von Gerhard Schröder gewählt hatte. Die Leute wollen die ideologische Klassenkämpferpartei früherer Jahre heute nicht mehr.

Wenn es sich die SPD nicht anders überlegt, ist es an den Grünen, sich für eine Koalition mit CDU CSU und FDP bereit zu machen. Aber was für eine Koalition soll das werden? Eine Fortsetzung von Multikulti wird angesichts der erklärten Meinung der Bevölkerung und der Rückbesinnung der CSU auf das Mantra von Strauß, es dürfe rechts von ihr keinen Platz geben, schwierig bis unmöglich. Damit wäre der Keim des Untergangs für die neue Regierung bereits von Anfang an gelegt. Eine Fortsetzung der alten Europapolitik wird ebenfalls schwierig, denn dann müsste die FDP ihre Wahlversprechen brechen. Aber sie wird lieber in der Opposition bleiben, als abermals umzufallen, weil sie das nicht überleben würde. Sie wird bei der Europapolitik den Schulterschluss mit der CSU suchen.

Also bleibt als kleinster gemeinsamer Nenner nur die Fortsetzung der grünen Politik. Die FDP wird das schlucken müssen, wenn sie mitmachen will, und die Grünen werden sich mit dem eurokritischeren Kurs von FDP und CSU abfinden müssen. Der Kanzlerin wird nichts anderes übrig bleiben, als das so mitzutragen.

Deutschland ist nun konservativer und europaskeptischer geworden. Rot-Rot-Grün hat auf absehbare Zeit keine Chancen mehr. Die Kanzlerin wird die CDU wieder nach rechts driften lassen, um die AfD klein zu halten.

Emmanuel Macron wird den Bettelbrief an Deutschland, den er am Dienstag verlesen will, wohl ganz erheblich kürzen müssen. Seine Forderungen, die von Italien und anderen bedürftigen Ländern gestützt werden, werden mit der Realität der neuen Machtverhältnisse in der deutschen Regierung kollidieren. Für Europa nähert sich die Stunde der Wahrheit.

Spannend bleibt die AfD. Ich vermute nicht, dass sie sich beim Marsch durch die Institutionen stärker radikalisieren wird. Sie wird ganz im Gegenteil, ähnlich wie seinerzeit die Grünen, moderater werden, weil sie angesichts ihres Erfolges auch für vorsichtiger agierende bürgerliche Kräfte attraktiv wird und ihr das Posten im Staatsapparat bieten kann. Die Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien wird nun nach rechts hin etwas sachlicher ausgestaltet werden, weil die AfD in die Rundfunkräte einzieht. Auch das wird Teil der neuen Normalität in Deutschland sein.

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