heute.de, 21.10.2016
"Schwarzer Juni" - ein fast unheimlicher Buchtitel. Dabei ist der Autor gar kein Pessimist, weit gefehlt: Der Ökonom und "überzeugte Europäer" Hans-Werner Sinn, bis zum letzten Frühjahr Chef des Münchener Ifo-Instituts, kämpft für eine gründliche Reform der EU und der Währungsunion.
Zwei fatale Ereignisse, sagt Hans-Werner Sinn im heute.de-Interview, schufen im Juni 2016 eine völlig neue Lage. Das Referendum zum Austritt Großbritanniens war das eine. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, die Europäische Zentralbank nicht zu bremsen in ihrem Anleihen-Kaufprogramm, war das zweite.
Eine Schwächung der Kräfte, die sich dem Schuldenregiment im europäischen Süden entgegenstemmen, so interpretiert der Ökonom die Folgen des "Brexit", und eine uferlose Geldschwemme durch die EZB, die den Euro-Krisenländern ungehemmtes Weiterwursteln erlaubt, das bedeute der Entscheid des Gerichts aus Karlsruhe – das sich nicht gegen die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) auflehnen konnte oder wollte.
Sinn für grundlegende Reform der EU
In dieser neuen Situation müsse es nun um eine grundlegende Reform der EU gehen: Weniger Regulierung aus Brüssel, eine stärkere demokratisch legitimierte Komponente, Abbau von Bürokratie und Entscheidungen von oben, wo Mitgliedsstaaten besser und direkter entscheiden können: Das sogenannte Subsidiaritätsprinzip mit Leben erfüllen statt wirklichkeitsfremder Regeln und Vorgaben.
Ein Ende der gemeinsamen Haftung für Schulden, wie sie ja in den europäischen Verträgen zur Währungsunion bereits ausgeschlossen wurde - man müsste sich nur einfach daran halten, ebenso wie an die Maastricht-Kriterien. Notfalls eben auch mal der Konkurs von Banken oder eben auch Staaten: Eine atmende Währungsunion schwebt ihm vor, wo man auch austreten kann, wenn das Korsett wirtschaftlich einschnürt und eine Währungsabwertung nötig wäre, die innerhalb des Euro-Systems ja nicht geht - und wieder in die Währungsunion eintreten, wenn die Lage besser geworden ist.
Europa ist den Bürgern offenbar nicht gleichgültig
All das erfordert politischen Mut, und die Bereitschaft, sich unter einer europäischen Idee zusammenzufinden - bei 28 Staaten kein leichter Weg. Sinn hofft auf die Bürger des Kontinents, die wiederum eine Reformpolitik unterstützen müssten. Wenn es nach dem Publikumsinteresse an seinem Buch geht, könnte das vielleicht gelingen: Die erste Auflage war vier Tage nach Erscheinen vor nicht einmal zwei Wochen am 11. Oktober bereits vergriffen, die zweite Auflage ist fast ausverkauft und die dritte steht kurz vor der Auslieferung. Europa ist nicht gleichgültig.
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