Die Europäische Währungsunion steckt in einer tiefen Zahlungsbilanzkrise. Eine Kapitalflucht aus Irland und riesige Leistungsbilanzdefizite in Griechenland, Portugal und teilweise auch Spanien wurden, wie in dieser Zeitschrift mehrfach berichtet wurde, in den letzten drei Jahren mit der Drucker- presse der EZB finanziert, über 100 Milliarden Euro pro Jahr. Da der EZB die Puste ausgeht, muss die Staatengemeinschaft nun mit Krediten helfen. Die französischen Banken, die in Griechenland am stärksten involviert sind, bedrängen die Staaten der Euro-Zone, allen voran Deutschland, die Staats schulden der Griechen an ihrer Stelle zu übernehmen. Und sie haben Erfolg. Schon vor einem Jahr wurde auf ihr Drängen hin ein Rettungspaket von 110 Milliarden Euro für Griechenland beschlossen.
Nun will man den griechischen Lebensstandard sichern und verlangt bis 2014 weitere 120 Milliarden Euro, um die Rückzahlung der in den nächsten drei Jahren auslaufenden Staatspapiere Griechenlands sicherzustellen. Man geht von etwa 100 Milliarden griechischen Staatspapieren aus, die fällig werden und bedient werden müssen. Dazu sollen zunächst 50 Milliarden von den Steuerzahlern Europas in Form neuer Kredite zur Verfügung gestellt werden. Diese Kredite werden zu 30 Milliarden für Direktauszahlungen an die Gläubiger verwendet, und 20 Milliarden nimmt man für eine Investition in einen Anlagefonds, der AAA- bewertete Staatsanlagen andere Länder erwirbt. Die restlichen 50 Milliarden sollen die Banken für 30 Jahre in griechische Staatspapiere reinvestieren. Der Anlagefonds dient dazu, diese 50 Milliarden im Laufe der Zeit zu einem immer höheren Prozentsatz zu besichern, denn aus den 20 Milliarden werden durch den Zinseszinseffekt im Laufe der Zeit 50 Milliarden. Auch wenn zwischendrin ein Zinsrisiko verbleibt, das die Rating-Agenturen irritiert, ist das ein Modell zur Erzeugung von Windfall Profits bei den Banken mit dem Geld der Steuerzahler, denn Griechenland ist schon seit einem Jahr pleite.
Viel schlimmer ist freilich, dass Griechenland nicht wettbewerbsfähig ist. Unter dem Euro hat der Staat sich extrem verschuldet und damit die Löhne und Preise überteuert. Das Leistungsbilanzdefizit lag zuletzt bei 10,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der gesamtwirtschaftliche Konsum überstieg das Volkseinkommen um 16,5 Prozent.
Um dieses Problem zu lösen, muss Griechenland um zwanzig bis dreißig Prozent billiger werden. Es muss eine innere oder äußere Abwertung akzeptieren. Daran führt kein Weg vorbei. Versucht Griechenland die innere Abwertung im Euro-Raum, gibt es ein Hauen und Stechen, weil Millionen von Löhnen und Güterpreisen gesenkt werden müssen. Außerdem werden viele Firmen der Realwirtschaft in den Konkurs getrieben, weil die Preise ihrer Immobilien fallen, während die Bankschulden bleiben. Es ist ähnlich wie in Deutschland unter Brüning, der sparen musste, weil der Dawes- und Young-Plan die Abwertung verbaten. Deutschlands Preise fielen von 1929 bis 1933 um 23 Prozent, die Löhne sanken um etwa 30 Prozent. Das Land wurde an den Rand des Bürgerkrieges getrieben. Politiker, die glauben, Griechenland könne durch einen Sparkurs gesunden, unterschätzen die Gefahren, und Politiker die glauben, Griechenland ließe sich mit neuem Geld wettbewerbsfähig machen, übersehen, dass das Geld den Anpassungsdruck nimmt und das Leistungsbilanzdefizit aufrecht erhält, was unweigerlich in die Transferunion führt.
Letztlich ist es besser für alle Beteiligten, insbesondere auch für Griechenland, wenn das Land temporär austritt. Dann kann es abwerten, wieder wettbewerbsfähig werden und später zu einem veränderten Wechselkurs wieder eintreten. Statt Millionen von Preisen und Löhnen zu senken, braucht man nur einen einzigen Preis, nämlich den Wechselkurs, zu ändern. Außerdem sind die Firmen der Realwirtschaft aus dem Schneider, weil ihre Schulden bei griechischen Banken auch abgewertet würden.
Nur die Auslandsschulden werden relativ zum Sozialprodukt größer. Aber das ist bei einer inneren Abwertung durch Kürzung von Löhnen und Preisen genauso. Einen Gutteil der Schulden muss man Griechenland in jedem Fall erlassen. Dann muss der französische Staat seine Banken eben selbst retten. Er wird das verkraften.
Bei einem Austritt aus der Währungsunion und offenen Abwertung würde zwar ein Bank-Run die Banken in die Insolvenz treiben, aber auch das wäre bei einer inneren Abwertung nicht viel anders, weil viele der Bankkunden Pleite gingen und ihre Schulden nicht zurückzahlen würden. Die Banken muss man so oder so unterstützen oder verkaufen. Es geht letztlich um die Frage, ob man nur die Bankbilanzen verbrennen will oder auch noch die Bankgebäude dazu. Allzu lange wird sich die Politik um diese Erkenntnis nicht mehr herumdrücken können.
Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts
Erschienen unter dem Titel „Griechische Tragödie“, WirtschaftsWoche, Nr. 28, 11. Juli 2011, S. 37.