ifo Standpunkt Nr. 154: Putin und der Zappelstrom

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 17. März 2014

Der ungelöste Konflikt in der Ukraine hat für uns nicht nur außen- und sicherheitspolitische Risiken. Die Eskalation an der Krim gefährdet auch die Öl- und Gasversorgung Deutschlands – und damit die Energiewende. Die neue deutsche Energiepolitik nämlich kann ohne russisches Gas nicht funktionieren. Der Grund liegt in der Unstetigkeit des Wind- und Sonnenstroms. Beide Stromquellen bedürfen einer Technologie zur Glättung der Stromproduktion im Jahresverlauf. Diese Aufgabe können letztlich nur parallel verfügbare Gaskraftwerke übernehmen.

ifo hat jetzt untersucht, ob es auch anders ginge. Anhand der Einspeisungen von Wind- und Sonnenstrom während aller 8760 Stunden des Jahres 2011 haben wir die zur Glättung dieses Stroms nötige Speicherkapazität berechnet. Die installierte Nennleistung beider Stromquellen betrug damals 54 Gigawatt. Zu einzelnen Stunden wurden schon mal bis zu 27 Gigawatt erzeugt, aber bisweilen auch nur 0,5 Gigawatt. Die durchschnittliche Erzeugung lag bei 7,3 Gigawatt. Die gesicherte Leistung, die in 99,5 Prozent der Stunden verfügbar war, betrug lediglich 0,9 Gigawatt.

Um den Durchschnitt verwertbar zu machen und die gesicherte Leistung von 0,9 Gigawatt möglichst weit in Richtung des Durchschnitts zu heben, ist eine Speichertechnologie zwingend notwendig. Am effizientesten sind nach dem derzeitigen Stand der Technik Pumpspeicherwerke. Zu einer vollen Glättung würde man allerdings rund 3300 solcher Anlagen benötigen – mithin 100-mal so viele, wie Deutschland derzeit hat. Neue Speicherkraftwerke sind aber schwer durchzusetzen, da sie allerorten zu wütenden Bürgerprotesten führen. Am Jochberg in Bayern etwa erhob man die Sensen.

Und wenn man nicht den gesamten “Zappelstrom” glättet, sondern nur einen Teil? Auch in diesem Modell ist das Resultat ernüchternd. Für die Glättung von vier Siebteln des Durchschnitts wären in Deutschland immer noch rund 440 Pumpspeicherkraftwerke erforderlich. Auch das ist jenseits aller politischen Möglichkeiten.

Alternativ könnte man die Energie in Akkus speichern. Dafür allerdings wären 164 Millionen Batteriesätze eines BMW i3 nötig – viermal so viele, wie es in Deutschland überhaupt Autos gibt. Die eine Million Elektroautos, die angeblich im Jahr 2020 auf Deutschlands Straßen fahren, würden nur mickrige 0,6 Prozent der benötigten Speicherkapazität liefern. Und die Autos dürften in den windstillen Zeiten des Jahres nicht fahren, damit sich ihre Batterien nicht entleeren.

Das Speicherproblem lässt sich faktisch nur durch die Errichtung sogenannter Methanspeicher lösen. Sie brauchen weniger Platz, lassen sich auch auf dem flachen Land errichten und sind – zumindest bei den Herstellungskosten – wesentlich billiger. Bei dieser Technik werden die Stromspitzen zunächst für die Produktion von Wasserstoff genutzt. Der wiederum wird in Methangas umgewandelt, mit dem Gaskraftwerke dann bei Bedarf ihren Strom erzeugen.

Ein unlösbares Problem ist aber die Energievernichtung bei diesem Speicherweg. Da der technische Wirkungsgrad bei diesem Verfahren nur bei einem Viertel liegt, käme der Strom den Kunden – nach dem Umweg über Methanisierungsanlage und Gaskraftwerk – mindestens viermal so teuer.

Fazit: Am Ende ist es allemal billiger, das Methan von Putins Gashändlern zu kaufen, in Deutschland zu speichern und dann bei Bedarf für die Erzeugung von Strom in Gaskraftwerken zu verwenden, die die Lücken des Wind- und Sonnenstroms füllen. Putin-Gas kostet rund drei Cent die Kilowattstunde, während Windgas aus der Methanisierungsanlage mindestens sechsmal so teuer wäre, die Kosten der Methanisierungsanlage noch gar nicht gerechnet. Wird der Strom auf See erzeugt, muss man mit mindestens dem Zehnfachen rechnen.

Die Nutzung von russischem Gas ist daher die einzige wirtschaftlich halbwegs vertretbare Lösung. Der Strom aus den Wind- und Solaranlagen kommt herbeigezappelt und wird mit Strom aus Methanspeichern geglättet, die von Putins Leuten gefüllt und dann intermittierend geleert werden. So entsteht in der Summe ein gleichmäßig verfügbarer Strom. Nur dieser Weg geht. Alles andere sind Hirngespinste.

Aber damit ergibt sich eine neue Risikosituation. Deutschlands Sicherheit ist durch die Abhängigkeit von russischem Gas ohnehin schon gefährdet, immerhin fließt derzeit ein Drittel des in Deutschland verbrauchten Gases über russisches Territorium. Wenn wir wie geplant unsere noch laufenden Atomkraftwerke abschalten und voll auf den Wind- und Sonnenstrom setzen, wird sich die Abhängigkeit von Russland weiter erhöhen – und die Versorgungssicherheit verringern. Dies wiederum schränkt Deutschlands außenpolitische Handlungsfähigkeit weiter ein.

Wissen wir eigentlich, was wir da tun?

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel “Putin und der Zappelstrom”, Wirtschaftswoche, Nr. 12, 17. März 2014, S. 37.