Alle regen sich auf. Verbraucherschutzministerin Künast hat sogar einen „Anti-Teuro-Gipfel“ veranstaltet. Auch der Kanzler teilt die Sorgen der Verbraucher. Es scheint, dass die schlimmsten Befürchtungen wahr wurden, dass die physische Einführung des Euro die Verbraucherpreise sprunghaft hat ansteigen lassen. Ist der Euro ein Teuro?
Nein, das ist er nicht. Im Mai lag der deutsche Preisindex der Lebenshaltung um nur 1,1 % über dem entsprechenden Vorjahresniveau, das ist der niedrigste Wert seit November 1999 (1,0 %). Die europäische Inflationsrate hatte im Mai mit 2,0 % gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat einen Wert, wie er auch direkt vor der Euro-Bargeldeinführung beobachtet werden konnte. Von einem Preisschub kann wahrlich nicht die Rede sein.
Richtig ist, dass die Einführung des Euro die Preise in Bewegung gebracht hat. Da viele Preislisten bei der zum Jahreswechsel erforderlichen Umstellung in Euro-Preise umgeschrieben werden mussten, sind ohnehin geplante Preisänderungen auf diesen Zeitpunkt konzentriert worden. Viele Preisänderungen wurden in der Erwartung der Umstellung aufgeschoben, andere wurden vorweggenommen. Dabei gingen die Anpassungen nicht nur nach oben. Beim Umschreiben der Preislisten sind auch viele aufgestaute Preissenkungen realisiert worden, und Preissenkungen, die erst noch für die Zukunft geplant waren, wurden vorweggenommen. So kam es, dass in der Summe nicht sehr viel passiert ist. Im Hinblick auf die Inflation war die Einführung des Euro ein Nicht-Ereignis.
Bei den Preiserhöhungen sticht insbesondere ein etwas rascherer Anstieg der Preise für lokale Dienstleistungen ins Auge. Diese Preise steigen ja regelmäßig schneller als die Preise für Industriegüter, weil die von der Industrie herüberschwappenden Lohnerhöhungen nicht durch entsprechende Produktivitätszuwächse wettgemacht werden können. Zum Zeitpunkt der Einführung des Euro gab es bei diesen Gütern einen kleinen Preisschub. Bei Nahrungsmitteln, die im Januar um 6,7 % teurer als im Vorjahresmonat waren, schlug als Sondereffekt außerdem das strenge Winterwetter in den südeuropäischen Erntegebieten für Obst und Gemüse preistreibend zu Buche. Inzwischen hat sich aber auch hier die Preisentwicklung wieder deutlich entspannt; im Mai war Gemüse um 8,4 % billiger als vor einem Jahr. Die Preise für viele Industrieprodukte, insbesondere solche aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik sind ebenfalls gefallen. Die Computerpreise lagen im Mai 2002 um mehr als 17 % unter den Preisen im Mai 2001. Der Nettoeffekt all dieser Einflussgrößen war, wie die unbestechliche Statistik zeigt, unerheblich.
Das geringe Ausmaß der gemessenen Inflation ist umso bemerkenswerter, als zum ersten Januar dieses Jahres in Deutschland einige administrierte Preiserhöhungen wirksam wurden, zu denen die vierten Stufe der Ökosteuer und die Erhöhungen bei der Tabak- und Versicherungsteuer gehörten. Die Summe dieser Effekte kann mit 0,4% veranschlagt werden. Ohne die administrierten Preiserhöhungen hätte der Preisanstieg vom Mai 2001 bis zum Mai 2002 nur 0,7 % betragen.
So findet die Debatte um den „Teuro“ im imaginären Raum der Psyche und der subjektiven Befindlichkeiten statt. Sie ist eine Mischung aus Wahlkampf und vorgezogenem Sommertheater, mehr nicht.
Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts
* Erschienen unter dem Titel "Der Seelen-Teuro" in der Süddeutschen Zeitung Nr. 150 vom 2. Juli 2002, Seite 22