IM PROFIL: Der Volkswirt Hans-Werner Sinn hat viele Debatten angestoßen und das Publikum gespalten – nun geht er in Rente.
Kaum zu glauben, dass Hans-Werner Sinn mal ein Linker gewesen sein soll. Er habe als junger Mann Flausen im Kopf gehabt, beichtete er jüngst. Das Studium der Volkswirtschaftslehre habe ihn aber auf den rechten Weg gebracht. Davon wich er nicht mehr ab. Heute ist er einer der bekanntesten, meinungsstärksten und umstrittensten deutschen Nationalökonomen. Er blieb skeptisch gegenüber allen staatlichen Versuchen, den Markt lenken zu wollen. Die stille Organisationsfähigkeit des Marktes wiederum bewundert er. An diesem Freitag wird Sinn in München mit einem Festakt geehrt, Ende März übergibt er mit dann 68 die Leitung des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung an Clemens Fuest, der vom Mannheimer ZEW kommt. Fuest gilt als ebenso scharfsinnig, aber weniger scharfzüngig.
Sinn mischt seit Jahrzehnten bei allen großen Wirtschaftsdebatten mit, manche mischte er auf – mit Analysen wider den Zeitgeist. Er ist auch Talkshow-Ökonom, einer, der komplizierte Dinge in vier Sätzen erklären kann. Er liebt Sätze wie: Die Politik könne die Grundsätze der Ökonomie nicht ignorieren – wobei klar wird, wer sich nach wem zu richten hat. Hinzu kommt ein eigentümlicher Mix aus altmodischem Bart und missionarischem Eifer, der aus diesem Mann eine einzigartige Erscheinung macht – einen Fundamentalisten der ökonomischen Vernunft.
Legendär sein Auftritt im Juni bei Günther Jauch, als er die SPD-nahe Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan anfuhr, sie solle zu den wirtschaftlichen Folgen eines möglichen Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone besser schweigen – denn "das ist doch gar nicht Ihr Metier!". Zumindest mit Letzterem hatte er Recht, aber auf viele Menschen wirkt er gerade in den Momenten selbstherrlich, in denen er Recht hat. Andere lieben seine offensiv zur Schau gestellte Verachtung des politischen Opportunismus. Sinn mag man oder man mag ihn nicht. Das verhinderte, dass er auch in der Politikberatung Karriere machte wie Bert Rürup oder Wolfgang Franz. Sinn ist zu radikal für Realpolitik, er ist eine marktliberale, außerparlamentarische Opposition. Linke Kritiker versuchen ihn als "Professor Unsinn" zu diffamieren, werfen ihm soziale Kälte vor, und dass sein Denken weit entfernt sei vom Leben der Menschen.
Sinns Verdienst besteht darin, in manche Debatte überhaupt ökonomische Ideen eingebracht oder gar die ganze Debatte selbst angestoßen zu haben.
Mit Ehefrau Gerlinde, mit der er drei erwachsene Kinder hat, schrieb er 1991 das Buch "Kaltstart". Es war eine Abrechnung mit der Wirtschaftspolitik rund um die Wiedervereinigung und einige Thesen sind heute common sense. 2003 schrieb er in "Ist Deutschland noch zu retten?" eine neoklassische Reformagenda nieder. Er predigte Lohnverzicht der Arbeitnehmer. Den gab es tatsächlich, es folgte ein Aufschwung. Sinns Konzept für einen aktivierenden Sozialstaat war nichts anderes als die Agendapolitik des Sozialdemokraten Gerhard Schröder.
Immer wieder schrieb Sinn über eine angeblich ausufernde Zuwanderung in die Sozialsysteme und offenbarte in der Wortwahl eine Nähe zu nationalliberalen Ideen. Heute warnt er wieder – vor hohen Kosten der Flüchtlingskrise.
Zu Sinns Werk gehört auch eine Fundamentalkritik der deutschen Klimaschutz-, vor allem aber der Eurorettungspolitik. Seit dem ersten Hilfspaket für Athen betont er wie kaum ein anderer die finanziellen Risiken für den deutschen Steuerzahler. Die seien größer als die offiziellen Hilfspakete, denn es gebe auch ein Hilfspaket im Verborgenen – über das System der Eurozentralbanken (Target). Sinn brachte das auf die Agenda. Für ihn steht fest: Der Euro spalte Europa. Hiermit ist er sich einig mit dem Linken Yanis Varoufakis. Während Athens Ex-Finanzminister für viele Deutsche ein Euroschreck in Lederjacke ist, lobt ihn Sinn als guten Ökonomen. Kein Wunder, ist er doch Sinns Meinung: Athen ginge es ohne Euro besser und Euroland ohne Griechenland.
Sinn hat oft Recht behalten, aber nicht immer. Seine Warnung vor dem Verlust Hunderttausender Jobs nach Einführung des Mindestlohns hierzulande hat sich bislang nicht bewahrheitet. Das könnte sich aber in der nächsten Krise ändern.
Sinn hat bereits klargestellt, sich auch in Zukunft zu Griechenland, Mindestlohn und allem anderen äußern zu wollen. Dabei drohte er in der Wirtschaftswoche schon mal seinen Kritikern: "Für Milde gibt es keinen Anlass."
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