Mit zugespitzten Analysen brachte Hans-Werner Sinn den Bürgern die Ökonomie näher.
Wolfgang Schäuble stutzt kurz, schaut noch mal auf sein Manuskript. "Jubilar" habe man ihm dort aufgeschrieben, dabei halte er doch eine Abschiedsrede, sagt der Bundesfinanzminister. Er schaut in Richtung des scheidenden Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn. "Sie werden so gefeiert hier, dass man sie auch einen Jubilar nennen kann. Und Sie haben es sich verdient, Herr Sinn", sagt Schäuble dann.
Der CDU-Politiker hielt die Abschiedsrede am Freitag auf dem Podium in der Aula der Münchener Universität. Einen ganzen Tag lang wurde dort "Deutschlands klügster Professor", wie ihn der Boulevard betitelt, gewürdigt und in den Ruhestand verabschiedet. Hans-Werner Sinn wird im März 68 Jahre alt und scheidet dann aus seinem Amt als Chef des Ifo Instituts aus. Im Publikum saßen Prominente und Wegbegleiter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.
Ob Sinn Deutschlands klügster Professor ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der bekannteste und streitbarste ist er sicherlich. Sozialreformen, Euro-Krise, Zuwanderung - mit pointierten Thesen wusste sich der Ökonom Gehör zu verschaffen. Damit machte er sich nicht nur Freunde.
Einer, der manchen Kampf mit ihm ausgetragen hat, ist sein Laudator Schäuble. Der Finanzminister störte sich an Sinns Schreckensszenarien, wie viel Geld die deutschen Steuerzahler in Griechenland verlieren werden. "Ich finde, Milchmädchen dürfen Milchmädchenrechnungen vorlegen", zürnte Schäuble vor einigen Jahren. Bei Professoren sehe das anders aus. Mit "akademischen Titeln" sei eine "besondere Verantwortung verbunden".
Sinn besitzt die Fähigkeit, komplizierte ökonomische Sachverhalte so zu vereinfachen, dass sie die breite Öffentlichkeit versteht - ja, sich sogar darüber echauffieren kann. Er habe sich als Ifo-Chef immer in "einer Brückenfunktion zwischen Elfenbeinturm und Politik" gesehen, sagte Sinn kürzlich. Bequem war Sinn nie. Auch Kanzlerin Angela Merkel musste sich in den vergangenen Jahren viel Kritik von ihm gefallen lassen, etwa für fehlende Reformen im Land. "Wir müssen dem Volk dienen, nicht der Politik", sagt Sinn über sich und seine Zunft.
Dabei lag er mit manchen seiner Vorhersagen falsch, etwa der von der deutschen "Basar-Ökonomie". Auch das mag der Suche nach populären Thesen und Zuspitzung geschuldet sein. Unbestritten sind aber seine Erfolge. Mit 36 Jahren wurde er einst Professor in München, 1999 an die Spitze des damals kriselnden Ifo Instituts berufen. Sinn verringerte die Zahl der Vollzeitstellen von 230 auf 130 und wagte den Neuanfang. Auch durch seine markanten Wortmeldungen verschaffte er dem Institut viel Aufmerksamkeit.
Und er brachte den Deutschen komplizierte ökonomische Zusammenhänge näher - bis hin zu den Target-Salden der Europäischen Zentralbank (EZB). Der Notenbanker Otmar Issing lobte Sinns missionarischen Eifer auf der Abschiedsfeier. Er war genauso Redner wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Sie machten deutlich, dass Sinn für sie vor allem ein wertvoller Alliierter war, wenn es darum ging, "ökonomische Gesetze" gegenüber politischen Notwendigkeiten zu verteidigen. Ob nun bei der Forderung nach Reformen oder den ständigen Hinweisen auf die Überbeanspruchung der Geldpolitik.
Selbst in der Frage der Target-Salden der Krisenländer weist Weidmann nur pro forma - wohl aus Loyalität zur offiziellen Linie der EZB - auf Meinungsverschiedenheiten mit Sinn hin. Er bezeichnete dieses System, über das die Forderungen und Verbindlichkeiten aus dem internationalen Zahlungsverkehr zwischen den Notenbanken bilanziert werden, als Symptom eines Problems, nicht als Problem an sich.
Schäuble hielt zu Sinns Abschied eine europapolitische Grundsatzrede - auch als Replik auf die EU-kritischen Einlassungen des Professors. Der Finanzminister sagte: "Zum Glück sind ja Wissenschaftler nicht so empfindlich wie Verfassungsrechtler." Das trifft auf Sinn zu: Er konnte austeilen, aber auch einstecken.