Wirtschaftswoche, 8. Dezember 2017, S. 66
In der nächsten Woche treffen sich in Buenos Aires Vertreter der Welthandelsorganisation WTO aus 164 Mitgliedstaaten zu ihrem 11. Weltkongress. Sie wollen über weitere Maßnahmen zur Liberalisierung des Welthandels beraten. Es soll unter anderem um die Landwirtschaft, den Fischfang und die Rolle kleiner und mittlerer Unternehmen gehen. Leider ist zu befürchten, dass dabei nicht übermäßig viel herauskommen wird.
Die 1995 gegründete WTO entstand aus dem Welthandelsabkommen GATT, das 1948 von zunächst 23 Ländern unterzeichnet worden war. Während das GATT sich auf die Verflüssigung des Warenhandels konzentrierte, umfassen die von den WTO-Mitgliedern vereinbarten Abkommen auch viele andere Handelsbereiche. So wurde mit dem TRIMS-Abkommen im Jahr 1995 auch der Kapitalverkehr eingeschlossen und durch einen gegenseitig garantierten Investitionsschutz abgesichert. Im gleichen Jahr wurde mit dem GATS-Abkommen der Freihandel auf den Dienstleistungssektor ausgeweitet. 1996 kam das TRIPS-Abkommen hinzu, das den Handel mit geistigem Eigentum regelte und seine Eigentümer vor Diebstahl schützte. Heute werden rund 90 Prozent des Welthandels nach den Regeln der WTO abgewickelt.
Hinter der Ausweitung des GATT auf die WTO stand vor allem das Verlangen der US-Amerikaner, ihre Direktinvestitionen in der Welt abzusichern und den erstarkenden amerikanischen IT-Sektor vor Software-Piraterie zu schützen. Dabei ging es insbesondere darum, Schwellen- und Entwicklungsländer ins Boot zu holen. Ihnen wurden zum Ausgleich für ihre Bereitschaft, den Eigentumsschutz anzuerkennen, die Märkte der Industrieländer in weiten Bereichen geöffnet, insbesondere im Textilbereich. Dass Amerikaner heute überwiegend in Ostasien hergestellte Kleidung tragen und in der amerikanischen Textilindustrie ein Lohnverfall zu verzeichnen war, liegt zum Teil an diesen Abkommen.
Weitgehend ausgeschlossen vom Freihandel sind nach wie vor Agrarprodukte. Denn mit diesen Produkten hätten die Länder der Dritten Welt den Bauern der entwickelten Länder erhebliche Konkurrenz bereiten können. In Buenos Aires soll nun ein Versuch unternommen werden, das zu ändern. Es wäre schön, wenn das gelänge, denn die Entwicklungsländer erleiden durch den Agrarprotektionismus der Industrieländer mehr Verluste, als sie an Entwicklungshilfe bekommen. Leider sind die Positionen in dieser Hinsicht so festgefahren, dass man deutliche Verbesserungen nicht erwarten kann.
Dabei wäre es höchste Zeit, der in Politik und Öffentlichkeit vielerorts unter Druck geratenen Freihandelsidee einen neuen Schub zu verleihen. Freihandel dient im Prinzip allen beteiligten Ländern, denn ein jedes Land kann sich auf das spezialisieren, was es besonders gut kann - und sich die anderen Produkte, die es braucht, dazukaufen. So wie innerhalb eines Landes die Wohlfahrt durch Spezialisierung entsteht - die meisten Arbeitnehmer bieten ja mit ihrer Arbeitsleistung nur ein ökonomisches Gut an und fragen stattdessen Tausende von Konsumgütern nach, anstatt sie selbst herzustellen - , ist es auch zwischen den Ländern. Insbesondere die ersten Freihandelsvereinbarungen der Nachkriegsjahre haben der Welt massive Wohlfahrtsgewinne beschert.
Richtig ist allerdings auch: Während am Freihandel teilnehmende Länder als Ganze profitieren, gibt es innerhalb der Länder stets auch Globalisierungsverlierer. Die Mechanismen, die Handelsgewinne im Aggregat hervorrufen, sind die gleichen wie jene, die eine internationale Annäherung der Löhne induzieren. Freihandel bedeutet, dass sich Länder mit niedrigen Löhnen auf arbeitsintensiv gefertigte Produkte spezialisieren, während Hochlohnländer eher auf wissens- und kapitalintensiv produzierte Güter setzen. Dadurch wird dort einfache Arbeit zum Teil überflüssig. Und das setzt die Löhne für einfache Arbeit in den Hochlohnländern in ähnlicher Weise unter Druck, wie es bei einem gemeinsamen Arbeitsmarkt der Fall wäre.
Tatsächlich sind die Löhne für einfache Industriearbeiter, die unmittelbar mit asiatischen und mexikanischen Industriearbeitern konkurrieren, in den USA über Jahrzehnte hinweg nicht mehr gestiegen. Das ist einer der Gründe dafür, dass vor einem Jahr ein Präsident gewählt wurde, der dem Freihandel den Kampf erklärt hat. Multilateralen Systemen wie der WTO kann Donald Trump nichts abgewinnen. Gleiches gilt für Abkommen, an denen sich nur wenige Länder beteiligen - wie der gescheiterte TTIP-Vertrag zwischen den USA und der Europäischen Union.
Angesichts dieser Umstände steht die WTO-Tagung in Buenos Aires unter keinem guten Stern.
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