Plädoyer für eine City-Maut

Ökonomisch sinnvoller als Fahrverbote ist eine Eintrittsgebühr für Autos in die Innenstädte – gestaffelt nach Schadstoffausstoß und Tageszeit.
Hans-Werner Sinn

Wirtschaftswoche, 9. April 2018.

Gibt es in der Dieseldebatte eine Alternative zu staatlichen Fahrverboten oder einer flächendeckenden (und teuren) Nachrüstung von Katalysatoren? Mein Kollege Clemens Fuest, der Präsident des ifo Instituts, hat jüngst eine City-Maut empfohlen, um die Stickoxidkonzentration in den Städten zu verringern. Das ist ein guter Vorschlag, denn bei gegebenem Umweltziel verringert eine Maut nicht nur die ökonomischen Lasten der Umweltpolitik. Sie verhindert auch die ansonsten zu erwartende wirtschaftliche Austrocknung der Innenstädte.

Machen wir uns nichts vor: Die gesamte Diskussion um die Stickoxide trägt kafkaeske Züge und hat mit einer ökonomisch rationalen Umweltpolitik wenig zu tun. Begonnen hat alles damit, dass die US-amerikanische Umweltbehörde um das Jahr 2007 die NOX-Grenzwerte für kleine Dieselmotoren dramatisch verschärfte, um die eigenen Hersteller vor der damals beginnenden Dieseloffensive europäischer Hersteller zu schützen. Die Amerikaner fürchteten wohl (zu Recht), dass man selbst ähnlich kleine und effiziente Dieselmotoren nicht bauen könnte. Wie sonst ist zu erklären, dass die stinkenden größeren Dieselmotoren der Trucks und Light Trucks ausgenommen wurden?

Nachdem die europäischen Hersteller es geschafft hatten, die europäischen NOX-Grenzwerte zu unterschreiten, verschärfte die EU, dem US-Beispiel folgend, anschließend auch hier die Standards – wenn auch längst nicht so weit wie die USA. Der VW-Konzern schummelte lieber bei den Messwerten, anstatt Katalysatoren einzubauen, und machte sich strafbar; Fiat, Daimler und BMW gerieten in Verdacht. Es folgte eine Skandalisierungskampagne gegen die „giftigen“ deutschen Dieselautos, die von Werbeprofis in viele Länder der Welt getragen wurde und das Image der deutschen Industrie nachhaltig geschädigt hat.

Nun hat ein deutsches Gericht Fahrverbote in Städten als grundsätzlich rechtmäßig erklärt, um die NOX-Konzentration in der Luft unter die von der EU gesetzten Grenzwerte zu senken. Dass die EU mit ihren Richtwerten für Stickoxide das Subsidiaritätsprinzip des Maastrichter Vertrages grob verletzt, nach dem sie nur Aufgaben von grenzüberschreitender Bedeutung übernehmen darf, kümmerte das Gericht dabei nicht. Aber es ist, wie es ist. Die EU kommt mit ihrer Rechtsverletzung durch, weil sie den Europäischen Gerichtshof auf ihrer Seite weiß. Die Methoden der öffentlichen Skandalisierung haben gewirkt. Nun muss gehandelt werden, um die Messwerte in den Städten zu senken. Nur wie?

Kosten höher als Nutzen

Älteren Dieselfahrzeugen die Fahrt in die Stadt nur dann zu erlauben, wenn sie mit Katalysatoren nachgerüstet werden, ist ökonomisch keine gute Lösung. Ein Katalysator kostet um die 3000 Euro, wenn er überhaupt technisch verfügbar ist. Er wäre auch von jenen Fahrern zu bezahlen, die nur ab und an in die City wollen. Der Umweltnutzen würde die Kosten also vermutlich nicht rechtfertigen. Eine Lösung mit erzwungenen Katalysatoren kommt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten daher allenfalls für Taxis, Gewerbetreibende, Pendler und andere Vielnutzer in Betracht.

Ein Katalysator-Zwang hätte auch den Nachteil, dass städtischen Geschäften die Laufkundschaft, die nur gelegentlich zu Einkäufen mit dem Auto in die Stadt fährt, abhanden käme. Die Städte wären voll von Fahrzeugen des gewerblichen und privaten Dauerverkehrs, doch würden dem Einzelhandel viele Kunden fehlen.

Die Alternative ist eine Mautlösung, die die einzelne Fahrt mit älteren Dieselfahrzeugen bepreist. Dies hat den Vorteil, dass die Kosten pro Fahrt niedrig sein können, sodass Gelegenheitskunden weniger stark als durch den Einbau eines Katalysators belastet würden. Gewerbliche Vielfahrer und Pendler könnten sich hingegen für den Katalysator entscheiden. Das wäre eine Lösung ohne staatlichen Dirigismus, käme der Umweltqualität zugute und erhielte den Geschäften in den Innenstädten mehr Kunden, als es bei Fahrverboten der Fall wäre.

Eine Mautlösung hätte zudem den Vorteil, dass man den Preis pro Fahrt nicht nur nach dem Schadstoffausstoß der Fahrzeuge, sondern auch nach der Tageszeit staffeln könnte. So ließen sich Verkehrsströme entzerren und Staus verhindern. Jeden Tag geht schließlich bei Millionen von Menschen wertvolle Zeit durch Staus verloren. Der geldwerte volkswirtschaftliche Verlust dürfte jährlich bei vielen Dutzenden von Milliarden Euro liegen. Durch eine zeit-, orts- und schadstoffabhängige Maut ließe sich eine bessere Verteilung der Fahrten über den Tagesverlauf sowie eine schonende Zurückdrängung viel fahrender, schmutziger Dieselautos erreichen. Die Kapazität der Straßen stiege, die Luft würde sauberer, und mehr Verkehr könnte ohne eine gegenseitige Behinderung der Autos in die Innenstädte fließen.

Man könnte auch sagen: Die Menschen hätten mehr Zeit für die wichtigen Dinge des Lebens.

Nachzulesen auf www.wiwo.de.