Coronabonds führen zu einer Verschuldungslawine, die nichts als Hass und Streit übrig lassen wird

Hans-Werner Sinn

Börse am Sonntag, 3. April 2020.

Der Top-Ökonom und ehemalige Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über platzende Geldpolitik-Blasen und mögliche Schuldenschnitte, warum der Euro nicht zu jedem Preis überleben muss und es anstatt Coronabonds aufzulegen sinnvoller wäre Italiens Krankenhäusern Geldgeschenke zu machen.  

Herr Prof. Sinn, die Coronakrise findet auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu ihrem nächsten traurigen Rekord: 470.000 Anträge auf Kurzarbeit in Deutschland, allein im März: Das sind in etwa 20-mal so viele wie in Zeiten der Finanzkrise. Wo führt diese Krise noch hin?

Damit sie nicht zur Zerstörung unserer Wirtschaft führt, sollten wir nach einer Abflachung der Kurve der Todesfallzahlen, die ich Ende April oder im Mai  erwarte, zu gezielteren Quarantäne-Maßnahmen übergehen. Die Alten müssen nach wie vor isoliert bleiben, doch den Jungen, die keiner großen Gefahr ausgesetzt sind, sollte die Arbeit sowie der Besuch von Schulen und Universitäten wieder erlaubt werden. Wichtig ist es, dass massiv getestet wird und dass alle Infizierten in einer strikten Quarantäne gehalten werden, es sei denn, sie akzeptieren eine App auf ihrem Handy, die anderen anonym ihren Aufenthaltsort mitteilt, damit sie ausweichen können.

Wie dramatisch ist die aktuelle Lage? Lassen sich überhaupt noch Vergleiche ziehen? Zu 2008? Oder zu anderen Wirtschaftskrisen?

Es sieht jetzt so aus, dass die Einbrüche von 2008 erreicht und übertroffen werden könnten. In Extremszenarien hat das ifo-Institut einen Einbruch von bis zu  20 Prozent berücksichtigt, freilich ohne das zur Prognose zu machen. Das wäre ein Wert wie bei der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre.

Wird es ein wirtschaftliches Epizentrum dieser Krise geben?

Das könnten neben Südeuropa die USA sein. Die Pro-Kopf-Zahlen der Toten sind jetzt schon höher als die deutschen, und sie steigen schneller. Wegen des fehlenden Sozialstaates könnte es zu einem massiven Wirtschaftseinbruch mit erheblichen sozialen Verwerfungen kommen. Plünderungen sind nicht ausgeschlossen. Die Waffenverkäufe boomen.

Haben die Notenbanken und Regierungen in Europa bislang richtig reagiert?

Die Schuldenprogramme halte ich für richtig. Sie dienen nicht der Nachfragestimulierung, sondern der Rettung von Firmen. Nicht richtig finde ich es, wenn die EZB die neuen und alten Schuldpapiere der Staaten mit der Druckerpresse erwirbt. Das Geld kommt den Europäern ohnehin schon zu den Ohren heraus. Die Zentralbankgeldmenge ist gegenüber 2008 bereits verdreifacht. In diesem Jahr soll sie vervierfacht werden. Entweder wird das mittelfristig eine Inflation hervorrufen oder man wird den gewaltigen Geldüberhang durch eine duale Währung mit negativen Zinsen auf die Geldhaltung wegzubringen versuchen.

Die Reaktionsmöglichkeiten der EZB sind ohnehin begrenzt. Rächt sich nun die ultralockere Geldpolitik der vergangenen Jahre?

Mit dem QE-Programm der Jahre 2015 bis 2018 hat die EZB ihr Pulver verschossen und eine neue Blase aufgebaut, die nun geplatzt ist. Solide war das, was sie veranstaltet hat, schon lange nicht mehr. Deswegen hatten im Herbst ja die Altgouverneure ihren Protest öffentlich bekundet.

Nun sind auf europäischer Ebene sogenannte Coronabonds im Gespräch, um unter anderem Italien in der Krise zu stützen. Das entspräche der Vergemeinschaftung von Schulden, vor der Sie bislang immer gewarnt haben…

Corona-Bonds stützen in erster Linie nicht Italien, sondern die französischen Banken, die besonders viele italienische Staatspapiere halten. Sie zerstören den europäischen Kapitalmarkt, weil sie den Zinsmechanismus außer Kraft setzen. Und sie unterminieren die deutsche Bonität mit der Folge, dass unser Zinsvorteil gegenüber den USA schwindet. Das sieht man schon jetzt ganz deutlich am Rückgang der transatlantischen Spreads. Auf Dauer führen sie unweigerlich zu einer Verschuldungslawine, die nichts als Hass und Streit übrig lassen wird wie einst die Vergemeinschaftung der Schulden durch Alexander Hamilton in den USA. Die Massenkonkurse der  Einzelstaaten in den Jahren nach 1835 sind das direkte Ergebnis einer Politik der Schuldensozialisierung, mit der er begonnen hatte.  
 
Wofür plädieren Sie?

Um Italien zu stützen, fände ich es besser, dem italienischen Staat und hier insbesondere seinen Krankenhäusern Geld zu schenken, damit sie sich das zur Behandlung nötige Material in China und sonst wo kaufen können. Jeder einzelne Deutsche sollte spenden, wie er es vermag, und der deutsche Staat sollte  in eigener und freier Entscheidung ohne Abstimmung mit anderen ein großzügiges Geschenk für unsere italienischen Landsleute gewähren.

Überlebt der Euro diese Krise?

Ich hoffe es, aber nicht um den Preis einer Schuldengemeinschaft. Das ist er nicht wert.  

Ein Rettungspaket hier, eine Finanzspritze dort. Regierungen überall auf dem Globus haben in den „Whatever it takes“-Modus geschaltet. Die weltweit ohnehin hohen Staatsschulden nehmen exorbitante Ausmaße an. Wie lange hält unser Wirtschaftssystem das noch aus?

Deutschland hat dank der schwarzen Null der vergangenen Jahre noch Luft, die anderen nicht. Es zeigt sich jetzt, dass man Schuldendisziplin nicht mit Verboten erzwingen kann, sondern nur durch den Markt. Wer bei den Schulden über die Stränge schlägt, muss seinen Gläubigern höhere Zinsen bezahlen. Nur das bringt ihn zur Besinnung. Hoffentlich ziehen wir die Lehre aus dem Versuch der EZB, diese fundamentale Marktgesetzlichkeit zu unterlaufen. Die Schuldenlawine hat sich die EZB selbst zuzuschreiben. Mit ihrer Politik, die Spreads zu verringern, hat sie die Schuldenpakte der Parlamente unterlaufen. Sie hat dadurch ihr Mandat verletzt.

Erwarten Sie auf kurz oder lang Schuldenschnitte?

Ich fände sie besser, als dass die Steuerzahler anderer Länder die Schulden zurückzahlen oder sichern. Es ist nun einmal so: Entweder wird man die Steuerzahler in Zukunft zur Kasse bitten, oder diejenigen schreiben einen Teil ihrer Forderungen ab, die sich verspekuliert haben. Der Verzicht auf Schuldenschnitte zu Lasten der Steuerzahler wäre ein sozialer Sprengstoff, an dem die EU zerbrechen kann. Wir hatten seit dem Krieg über 180 Schuldenschnitte für Staatspapiere in der Welt. Daran ist die Welt nicht zugrunde gegangen.

Wie hart wird diese Krise die deutsche Wirtschaft im Vergleich treffen? Und wann ist mit einer Erholung zu rechnen?

Der Einschnitt ist hart, aber wenn wir die allgemeine Quarantäne durch eine punktgenaue Quarantäne für die wirklich Infizierten ersetzen, können die Jungen vermutlich im Mai schon wieder arbeiten.

Und wenn nicht? Wie lange hält das Land einen Shutdown aus?

Wir gehen daran nicht zugrunde. Die meisten Wettbewerber haben ja das gleiche Problem. Dennoch können wir uns nicht beliebig viele Staatsschulden leisten, und die Monetisierung durch die EZB ist ohnehin nicht kompatibel mit dem Versuch, den Euro zu einer Hartwährung zu machen. Deswegen muss der Umstieg in ein zielgenaueres Quarantäne-System vorbereitet werden. Das Augenmerk gilt dem Aufbau einer Testkapazität und der Einführung einer Handy-App, die es den Bürgern erlaubt, Gefahrenherde zu meiden.

Ist es an der Zeit unser bisheriges Geld- und Wirtschaftssystem neu zu denken?

Es ist die Zeit, in der viele Kritiker des Kapitalismus ihre verstaubten Ideen reaktivieren. Auch deshalb müssen wir die Wirtschaft nach dem Rückgang der Todesfallzahlen zügig wieder hochfahren, ohne dabei die medizinische Quarantäne zu verschlechtern. Richtig wäre es, das Eurosystem grundlegend zu überarbeiten, aber das ist ein weites Feld.

Worin liegen die Chancen dieser Krise?

Zu überleben und in Zukunft mehr Vorsorge gegenüber Gefahren zu treffen. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Stabilisierung des Geldsystems. Schädliche Viren gibt es überall.   
 

Das Interview führte Oliver Götz.

 

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