WirtschaftsWoche, 19. Januar 2019.
Noch bis Ende Februar können sich junge Volks- und Betriebswirte um den mit 25.000 Euro dotierten Preis der WirtschaftsWoche für die beste Masterarbeit bewerben. Jury-Mitglied Hans-Werner Sinn hofft auf Empfehlungen für die Wirtschaftspolitik - und warnt vor wissenschaftlichen Banalitäten.
Professor Sinn, welche Masterarbeit würden Sie gerne lesen?
Ich würde mich am meisten freuen über eine Analyse tatsächlicher institutioneller Verhältnisse samt der durch diese Verhältnisse erzeugten Anreizstrukturen. Die Analyse sollte in der Lage sein, der staatlichen Wirtschaftspolitik Empfehlungen zu geben. Die Empirie der Institutionellen Verhältnisse kommt nämlich in der Wissenschaft heutzutage etwas zu kurz.
Ich freue mich aber auch über ökonomische Arbeiten aus ganz anderen Bereichen. Am wichtigsten ist stets der Aha-Effekt: Der Leser ist verblüfft, Zusammenhänge zu erfahren, die er vorher nicht kannte oder, besser noch, bei denen seine Vorurteile schlüssig widerlegt werden und er zum Umdenken gezwungen wird. Banalitäten braucht man nicht aufzuschreiben.
Was zeichnet heute eine exzellente Masterarbeit thematisch und methodisch aus?
Eine sorgfältige Literaturrecherche, eine souveräne Darstellung des bekannten Wissens mit einem formal anspruchsvollen Zitierapparat, sowie tiefe Einblicke in die Thematik, möglichst noch bereichert um eigene Gedanken. Eine gute Gliederung, eine klare, ungekünstelte Diktion und die Abwesenheit von grammatikalischen Fehlern und Rechtschreibefehlern gehören ebenfalls zu den unabdingbaren Voraussetzungen.
Wenn formal-theoretische und ökonometrische Darlegungen gewünscht sind, kommt es auch auf die Eleganz und Präzision der Mathematik sowie auf die Sorgfalt bei der Datensuche an. Letztendlich zählt aber, wenn alle anderen Anforderungen erfüllt sind, vor allem die wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz des Themas.
Wie war es bei Ihnen? Worüber haben Sie in jungen Jahren Ihre Diplomarbeit geschrieben?
Ich schrieb über das Marxsche Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Das Thema konnte man sich damals nicht aussuchen. Ich ärgerte mich zunächst, doch gewann ich viel Spaß daran, als ich Marx las.
Welche Note gab es für die Arbeit?
Die Arbeit wurde mit der Note 1,0 bewertet. Der Gutachter schrieb, er hätte sie gerne „mit Auszeichnung“ bewertet, doch die Note lasse die Prüfungsordnung nicht zu. Das veranlasste mich, erstmals darüber nachzudenken, Wissenschaftler zu werden. Das Angebot einer wissenschaftlichen Assistentenstelle, das dieser Begutachtung folgte, nahm ich an. Alles Weitere ergab sich.
Das Interview führte Bert Losse.
Nachzulesen auf www.wiwo.de.