Kurvenlage, Halbjahresbericht des Deutschen Aktieninstituts, S. 10/11, 1. Halbjahr 2020.
Die Corona-Krise hat die Weltwirtschaft hart getroffen. Durch die staatlichen Hilfspakete und die Geldpolitik der EZB wird Deutschland allerdings schnell aus der Krise kommen. Ungewiss ist, was passiert, wenn die Pandemie vorbei ist und die aufgestauten Konsumwünsche realisiert werden.
Die Entwicklung spiegelt das Auf und Ab der Weltwirtschaft. In China ging der Einkaufsmanagerindex im Februar in den Keller wie noch nie, doch schon im April ging die Reise wieder nach oben, und inzwischen ist das Vor-Corona-Niveau schon übertroffen. Das ist eine gute Nachricht für die deutsche Industrie, speziell die Automobilindustrie, die sehr viel nach China verkauft und zugleich viele Vorprodukte von dort bezieht.
In Europa und den USA kam der Absturz zwei Monate später, also im April, wobei die Eurozone sehr viel massiver betroffen war. Aber auch dort ist das Schlimmste vorbei. Die Schäden, die der Sturm hervorrief, sind aber gewaltig.
Italiens Industrieproduktion, die bereits in der Finanzkrise um 20 Prozent unter das Niveau vor der Lehman-Krise gefallen war, fiel noch einmal um zwölf Punkte. Sie liegt derzeit um 32 Prozent unter dem Niveau vom Herbst 2007. In Spanien ist es fast genauso. Frankreich hängt mit minus 20 Prozent gegenüber dem Niveau vom Herbst 2007 in den Seilen. Die Arbeitslosigkeit in Italien ist auf 12 Prozent und jene in Spanien auf 20 Prozent hochgeschnellt.
In den USA kratzte die Arbeitslosenquote die Grenze von 20 Prozent und sank danach auf 16 Prozent, was immer noch ein Wert ist, für den man in Jahrzehnten keine Parallele findet. Wegen des fehlenden Sozialstaates begehren die Menschen auf, vor allem auch die Afroamerikaner, gegen die die Polizei besonders hart vorgeht. Plünderungen, Schießereien und Zerstörungen finden allerorten statt. So manches Denkmal berühmter amerikanischer Staatsmänner wurde vom Sockel gestoßen.
Auch Deutschland, wo der Einbruch deutlich geringer war als anderswo, ist wie die anderen Regionen schon wieder im Aufwärtstrend. Es ist zu vermuten, dass die wirtschaftliche Aktivität einem spiegelbildlichen Wurzelzeichen folgt. Erst geht es steil nach unten, dann steil nach oben, doch nicht bis zum alten Niveau. Danach geht es seitwärts weiter.
Alles hängt nun davon ab, ob und wie schnell ein Impfstoff kommt. In China wurden bereits großflächig Impfungen mit Soldaten durchgeführt. Anderswo werden die ersten Feldversuche vorbereitet. Auch Deutschland kämpft mit zwei Unternehmen in der vordersten Front.
Dass Deutschland relativ glimpflich davonkommt, liegt an den staatlichen Hilfsmaßnahmen, die ein im internationalen Vergleich ungewöhnliches Niveau erreichen. Zwar soll das Budgetdefizit des Staates knapp unter 10 Prozent liegen, doch die potentiell haushaltswirksamen Hilfsprogramme könnten, wenn sie vollständig abgerufen und aktiviert werden, das Defizit bereits auf 18 Prozent ansteigen lassen. Und wenn man gar die Kredithilfen der KfW und die staatlichen Bürgschaften hinzurechnet, kommt man nach dem, was auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums zu finden ist, sogar auf atemberaubende 44 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Summen liegen um eine Zehnerpotenz über dem, was man vor der Corona-Krise als ein sehr umfangreiches Konjunkturprogramm angesehen hätte. Maß und Mitte sind verloren gegangen.
Die Maßnahmen sollen die Firmen vor dem Konkurs schützen, doch sie sollen auch Einkommen stützen und haben deshalb zugleich einen konjunkturellen Effekt, egal, ob sie als Konjunkturpolitik tituliert sind oder nicht. Der konjunkturelle Effekt stößt aber leider auf eine lahmende Wirtschaft von Menschen, die sich gar nicht trauen, wieder im Volldampf zu produzieren. Deshalb muss man sich fragen, ob hier nicht ein Inflationspotenzial angelegt ist.
Kurzfristig überwiegt die Skepsis der Käufer
Diese Frage ist auch deswegen berechtigt, weil die EZB vorhat, abermals die Staatsverschuldung durch eine Ausweitung ihrer Nettokäufe zu monetisieren. Allein im Jahr 2020 soll die Geldmenge um 1,7 Billionen Euro wachsen. Sie wird dann am Ende des Jahres vermutlich im Bereich von fünf Billionen Euro liegen, was mehr als fünfmal so groß ist wie ihr Wert vor dem Ausbruch der Finanzkrise, als sie noch 900 Milliarden Euro betrug.
Ich vermute, kurzfristig, solange die Pandemie dauert, wird die Skepsis der Käufer überwiegen und sie werden auf dem vielen Geld einfach sitzenbleiben. Oder anders gesagt, Europa wird in der Liquiditätsfalle stecken bleiben, in der es sich nun schon seit der Lehman-Krise vor zwölf Jahren befindet. Insofern sind vorläufig keine größeren inflationären Effekte zu erwarten.
Doch was ist, wenn die Pandemie vorbei ist, wenn die aufgestauten Konjunkturwünsche auf einmal realisiert werden und wenn zusätzlich die Ölpreise wieder ansteigen, sodass eine Lohn-Preis-Spirale droht? In dem Fall müsste die Zentralbank die erworbenen Schuldpapiere verkaufen, um das viele Geld wieder einzusammeln, und die Staaten müssten beginnen, ihre Schulden zu tilgen. Das erscheint mir jedoch als Wunschdenken, das fern der Realität liegt, weil in diesem Fall die Bewertungsblasen, die in den Bankbilanzen aufgebaut wurden, platzen würden. Die Staaten müssten wieder Zinsen zahlen, die bereits als unerträglich empfunden wurden, als die Staatsschulden noch niedriger waren. Die Regierungen der Eurozone werden schon dafür sorgen, dass die Vertreter, die sie in den EZB-Rat entsenden, die Politik der Niedrigzinsen beibehalten.