Der grüne Dirigismus der EU-Kommission

Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes betreibt die EU Industriepolitik. Das beste Mittel zur CO2-Reduktion steht gar nicht zur Debatte.
Hans-Werner Sinn

Finanz und Wirtschaft, 30. September 2020, S. 2.

Die Rede der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Lage der EU vom 16. September hat es abermals bestätigt: Mit ihrem New Green Deal hat sich die EU dem ­Neodirigismus verschrieben. Brüsseler Bürokraten behaupten selbstbewusst, sie wüssten, welche technischen Wege für Europas grüne Zukunft die besten sind. Auf diese Wege zwingen und lenken sie die Wirtschaft in die von ihnen gewünschte Richtung.

Sie haben weitreichende Pläne entwickelt, wie sie das Gewünschte mit Ver­ordnungen wie der CO2-Verordnung für die Autos, die der traditionellen Autoindustrie den Garaus macht, erzwingen wollen. Sie lenken mit Fördergeldern sowie auch mit einer grünen Taxonomie­verordnung, die unter Mithilfe der EZB zu differenzierten Zinsen führen, die nach dem Grad der «Grünheit» privater Investitionsprojekte gestaffelt sind.

Anmassung von Wissen

Tatsächlich massen sich die Politiker ein Wissen über die Kosten der Vermeidung des CO2-Ausstosses an, das sie gar nicht  haben können. Politiker, die kein eigenes Geld, sondern nur das Geld anderer Leute verwenden, haben auch nicht den geringsten Anreiz, die kostengünstigsten Vermeidungswege zu suchen. Der naive Glaube an die Weisheit und die ­Ehrlichkeit der Zentralplaner, den man 1989 eigentlich ein für alle Mal über­wunden glaubte, feiert in ganz Europa wieder fröhliche Urständ.

Im Gegensatz dazu sind sich heute fast alle Ökonomen indes einig, dass es viel besser und effizienter wäre, einen all­umfassenden Emissionshandel für sämtliche Sektoren der Wirtschaft einzurichten, der einen einheitlichen CO2-Preis ­zustande bringt. Für den Energiesektor betreibt die EU seit vielen Jahren einen derartigen formalisierten Handel von Emissionszertifikaten.

Es wäre ein Leichtes, diesen Handel auf alle Sektoren auszuweiten. Dafür würde es reichen, die fossilen Brennstoffe, die in die EU importiert oder die auf ihrem Gebiet geschürft werden, nach ihrem Kohlenstoffgehalt zu belasten und einen Grenzausgleich für Importe und ­Exporte einzuführen.

Marktwirtschaft

Der allumfassende Emissionshandel würde die Unternehmen veranlassen, selbst nach den besten grünen Wegen zu suchen, weil sie alle die Emissions­kosten mit dem einheitlichen CO2-Preis vergleichen. Überall würden grüne Innovationen aus dem Boden spriessen, und so manch ein Brüsseler Bürokrat würde sich wirklich sehr wundern, welche der Techniken sich tatsächlich als am umweltfreundlichsten erweisen.

Beispielsweise könnte Wasserstoff über Batterien siegen, grüner Strom aus der ­Estremadura könnte den grünen Strom aus der Nordsee schlagen, die Kern­fusion hätte eine Chance, und wer weiss, vielleicht würden sich auch neue Haus­typen,  Siedlungsformen  und Verkehrsmittel ergeben, an die heute noch kaum jemand denkt.

Jedenfalls würde das vorgegebene CO2-Ziel mit einer minimalen Einschränkung des Lebensstandards der EU-Bevölkerung erreicht, und bei einer gegebenen Einschränkung des materiellen Lebensstandards, die sich die Europäer für die Umwelt zumuten, würde ein Maximum an CO2-Einsparung erzielt. Nur dieser ­umfassende Emissionshandel wäre mit den Prinzipien einer Marktwirtschaft kompatibel. Ergebnisoffen würden die Start-ups und die jungen Ingenieure ­Europas in eigener Regie die besten Wege zur CO2-Reduktion suchen und finden. Interventionen der zentralen Bürokratie wären  nicht nötig.

Da mit einem derartigen Regime fast der gesamte Rest des staatlichen Diri­gismus zur Einsparung von CO2-Emis­sionen entfallen könnte, hätte diese Lösung freilich zur Folge, dass viele der mit der Umsetzung des New Green Deal befassten Bürokraten in Brüssel und in den Hauptstädten Europas arbeits- und machtlos würden. Die grünen Industrielobbys und die Lobbys der Kernenergie sowie der Elektroindustrien  hätten keine Ansprechpartner mehr, die in der Lage wären, die Ausgestaltung der Detailregelungen der staatlichen Förderung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Kahlschlag vermeiden

Damit liesse sich der Kahlschlag bei der Autoindustrie, der die EU Millionen von Arbeitsplätzen kosten kann, vermeiden. Nach den neuesten Planungen der EU-Kommission darf ein Personenwagen 2030 im Durchschnitt nur noch 1,8 Liter Dieseläquivalente pro 100 Kilometer verbrauchen. Danach soll die CO2-Reduktion bei den Autos von den bereits beschlossenen 37,5% (gegen die bereits reduzierten Vorgaben des Jahres 2021) auf 50% vergrössert werden.

Selbst die besten Ingenieure werden das nicht schaffen. Das Ziel ist nur rea­listisch, wenn sie Elektroautos in ihrer Flotte  beimischen und die CO2 Emis­sionen so mit behördlichem Segen heruntermogeln. Denn bekanntlich werden die E-Autos fälschlicherweise mit Treibhausgasemissionen von null angesetzt, obwohl alle EU-Länder ihren Strom un­ter anderem auch mit Kohle (Kohle 59.3 0%) erzeugen. Zudem stossen Elektroautos wegen des schweren CO2-Rucksacks der mehrheitlich aus China stammenden Batterien eher noch mehr CO2 aus als gleichwertige Dieselfahrzeuge.

Klima nicht im Vordergrund

Die EU-Kommission hat bislang noch in keiner Art und Weise erkennen lassen, dass sie von ihrer zentralen Planung ablassen möchte und bereit ist, ein umfassendes Emissionshandelssystem einzuführen. Mit ihrem Zögern setzt sie sich dem Verdacht aus, dass es ihr in Wahrheit gar nicht in erster Linie um das Klima geht, sondern um ein Stück Industrie­politik, über dessen wahre Motive man nur spekulieren kann.   

Nachzulesen auf www.fuw.ch sowie auf www.project-syndicate.org.