Spiegel online, 13. März 2012.
Als der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, in einem Brief an den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, seine Besorgnis über die wachsenden Target-Salden der Bundesbank zum Ausdruck brachte, hat er nicht unbegründet "gejammert", wie einige Kommentatoren meinen, sondern seine Pflicht getan. Der Vorstand der Bundesbank ist nämlich gehalten, die Vermögensinteressen der Bundesrepublik Deutschland zu wahren und den Geldwert zu schützen.
Bekanntlich stecken die südlichen Euroländer seit einigen Jahren in der Klemme, weil sie über ihre Verhältnisse gelebt haben und die ausländischen Kreditgeber den Lebenswandel nicht mehr zu den alten Zinsen finanzieren wollten. Der notwendigen Anpassung haben sich diese Länder aber bislang entziehen können, weil sie ihre Zahlungsbilanzdefizite mit der Notenpresse ausgeglichen haben. Das war möglich, weil sich ihre nationalen Notenbanken mit Billigung des EZB-Rats, den sie selbst dominieren, beim Verleih des selbst geschaffenen Geldes an die Geschäftsbanken mit immer weniger Sicherheiten begnügten. Auch das beklagt der Bundesbankpräsident zu Recht.
Man druckte (elektronisches) Geld wie Heu, das dann verwendet wurde, um Auslandskredite zu tilgen, die Kapitalflucht der eigenen Bevölkerung zu kompensieren und Auslandsrechnungen zu bezahlen. Was gedruckt wurde, floss gleich wieder ab, vor allem nach Deutschland. Deutschland war der Hauptlieferant der Waren, die die südlichen Euroländer importierten. Aus Deutschland war ein erheblicher Teil der Kredite gekommen, deren Rückzahlung die Banken und Versicherungen nun verlangten. Und Deutschland ist ein bevorzugter Fluchtort für das Kapital, das die wohlhabenderen Bewohner der südlichen Eurostaaten außer Landes geschafft haben. Insgesamt sind auf die Konten der deutschen Banken auf diese Weise inzwischen netto 547 Milliarden Euro überwiesen worden.
Deutschland ist hohe Haftungsrisiken aufgebürdet
Die Bundesbank hatte für die Überweisungsaufträge aus dem Süden eine niedrigverzinsliche Target-Forderung gegen das EZB-System erhalten, und die Zentralbanken des Südens, von denen die Überweisungen kamen, mussten eine entsprechende Verbindlichkeit einbuchen. Im Endeffekt wurden auf diese Weise deutsche Ersparnisse im Umfang von 547 Milliarden Euro von privaten Vermögensansprüchen gegen das Ausland in bloße Target-Forderungen der Bundesbank gegen das Eurosystem verwandelt. Unsere Lebensversicherungspolicen und Sparbücher bestehen heute zu mehr als 13.000 Euro je Erwerbstätigen aus offenen Target-Forderungen gegen die anderen Zentralbanken der Eurozone, die wir nicht fällig stellen können, die eine Verzinsung unterhalb der Inflationsrate bringen und die sich ganz oder teilweise als wertlos erweisen werden, wenn der Euro zerbricht oder Euroländer pleitegehen.
Vor dem Krieg, als die Währungen noch goldgedeckt waren, mussten die Länder ihre Zahlungsbilanzdefizite stets mit Gold begleichen, und auch im Bretton-Woods-System der Nachkriegszeit war das im Prinzip noch so. Während die Bundesbank damals darauf verzichtete, die Dollars umzutauschen, die bei ihr anlandeten, schickte der französische Staatspräsident de Gaulle 1968 ein Kriegsschiff nach Amerika, um die Dollars, die sich bei der Banque de France angesammelt hatten, in Gold einzutauschen. Auch im Verkehr zwischen den zwölf Distrikt-Notenbanken der USA, die in mancherlei Hinsicht mit den europäischen Notenbanken vergleichbar sind, müssen die Geldabflüsse (vergleichbar mit den Targetdefiziten) grundsätzlich einmal im Jahr durch Hergabe goldbesicherter Wertpapiere ausgeglichen werden. Nur in der Eurozone haben Staaten das in der Wirtschaftsgeschichte einmalige Recht, ihren Kontokorrentkredit im Währungssystem grenzenlos zu überziehen.
Das ist ein fataler Konstruktionsfehler, der Deutschland hohe Haftungsrisiken aufbürdet und uns zwingt, gigantischen und in ihren Auswirkungen kaum noch überschaubaren Rettungssystemen zuzustimmen, um das Auseinanderbrechen des Euro zu verhindern. Wie mit Pattex sind wir mit den mediterranen Ländern Europas verklebt und ihren Mehrheitsentscheidungen im EZB-Rat ausgeliefert.
Das deutsche Sparkapital wird in die Mittelmeerländer geleitet
Wolfgang Münchau hat Recht, dass man die Targetdefizite nicht hart begrenzen sollte. Aber man muss den Kontokorrentkredit erschweren. Vielleicht, wie Ex-Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger es vorschlägt, mit progressiv steigenden Überziehungszinsen. Vielleicht, wie Jens Weidmann es wohl meint, über striktere Anforderungen an die Sicherheiten, die Geschäftsbanken hinterlegen müssen, wenn sie sich bei ihren jeweiligen nationalen Notenbanken Geld leihen wollen. Oder, wie ich es vorschlage, indem man ähnlich wie in den USA eine Tilgung der jahresdurchschnittlichen Salden zwischen den einzelnen Notenbanken der Euro-Zone mit gold- oder immobilienbesicherten, marktgängigen Wertpapieren vorsieht. Auf jeden Fall muss man den Target-Krediten ihren Reiz nehmen, damit die Banken des Südens wieder ein Interesse daran haben, sich ihre Kredite auf dem privaten Interbankenmarkt zu besorgen - anstatt sich von ihren nationalen Notenbanken bedienen zu lassen.
Selbst der ärgste Systemkritiker wird zustimmen, dass ein Vorteil des Kapitalismus darin liegt, dass die für Investitionsentscheidungen nötige Abwägung zwischen Risiken und Erträgen von den Vermögensbesitzern selbst getroffen wird. Die Mehrheit im EZB-Rat durchbricht dieses Prinzip aber gegen den erbitterten Widerstand des deutschen Vertreters in diesem Gremium und leitet das deutsche Sparkapital nun schon im fünften Jahr weiterhin in die Mittelmeerländer, obwohl es dort eigentlich nicht hin will. Das ist ein Rettungsschirm vor dem Rettungsschirm. Noch dazu einer, der weit größer ausfällt als alle offiziellen Rettungsschirme, über die die Parlamente entschieden haben.
Mit Notmaßnahmen zur Bekämpfung einer akuten Liquiditätskrise hat die EZB-Politik schon lange nichts mehr zu tun. Sie ist vielmehr eine fiskalische Interessenpolitik auf dem Rücken anderer Länder, die geradewegs in eine Transferunion münden wird.
Ein Lob dem Bundesbankpräsidenten, der es gewagt hat, dieses Thema offen anzusprechen und das Tabu zu brechen, das die Politik um dieses Thema herum aufgebaut hat. Der Deutsche Bundestag, der nun abermals aufgerufen ist, die Rettungsschirme weiter aufzuspannen, sollte diesen Sachverhalt kennen, bevor er seine Entscheidungen trifft.
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