Handelsblatt (ref. Project Syndicate, Juli 2019), Nr. 150, 7. August 2019, S. 48.
Ihr neues Programm zum Ankauf von Anleihen (QE) hat die Europäische Zentralbank (EZB) mit einer Modifikation ihres Inflationsziels vorbereitet. Was harmlos als symmetrisches Inflationsziel von 1,9 Prozent daherkam, soll in den nächsten Jahren die Basis für eine neue Phase der expansiven Geldpolitik schaffen, die noch weit über das hinausgeht, was bislang realisiert wurde.
Erinnern wir uns: Im Maastrichter Vertrag wurde der EZB das nicht verhandelbare Ziel mitgegeben, für stabile Preise zu sorgen, was, wenn man es wörtlich nimmt, eine Inflationsrate von null bedeutet. Angesichts der in Südeuropa in den ersten Jahren des Euros grassierenden Inflation argumentierte der EZB-Rat dann aber, das Ziel der Preisstabilität könne man nicht genau erreichen, und im Übrigen gebe es viele Messfehler. Deswegen solle man eine gemessene Inflationsrate von bis zu zwei Prozent im Durchschnitt aller Länder tolerieren.
Dann kam die große Krise, und die Inflationsraten sackten ab. Nun verwandelte der EZB-Rat die noch tolerierbare Obergrenze für die Inflationsrate in ein Ziel. Auf einmal hieß es, eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent werde angestrebt. Ja, der EZB-Präsident trat sogar vor die Fernsehkameras und behauptete allen Ernstes, dies sei das Mandat der EZB.
Und nun bindet der EZB-Rat die Nachfolgerin von Mario Draghi durch einen Beschluss des Rates, der sie zwingt, einen Wert von 1,9 Prozent „symmetrisch“ anzustreben. Im Klartext heißt das, sie soll den Wert im Mittel der Jahre zu erreichen versuchen, und da die Inflationsrate lange Zeit unter zwei Prozent lag, kann sie nun auch einige Zeit darüber liegen.
Als Begründung für die neue Phase der expansiven Geldpolitik verwies der Präsident in seiner Pressekonferenz mehrfach auf die sich rapide verschlechternde Konjunkturlage im verarbeitenden Gewerbe. Dabei hatte er Deutschland im Blick. Die Geldpolitik müsse einer neuen, expansiven Fiskalpolitik zu Hilfe eilen, um die europäische Wirtschaft zu beleben.
Aber eine expansive Geld- und Fiskalpolitik kann gerade der Industrie kaum helfen, denn deren Geschäft liegt in der weiten Welt. Binnennachfrage gibt es in der Euro-Zone genug. In vielen Ländern boomt der Bau, und die Dienstleistungen werden stark nachgefragt, was zu raschen Lohnsteigerungen führte, wie der Präsident zustimmend vermerkte. Setzt die EZB da nun noch eins drauf, erzeugt sie einen Kostendruck, der der Industrie das Leben eher noch schwerer macht.
Eine gleichgewichtige geld- und fiskalpolitische Expansion erzeugt stets einen Boom der Binnennachfrage und belebt die Binnenwirtschaft vom Bau bis hin zu allem, was am Staat hängt. Nur wird dem verarbeitenden Gewerbe, das international wettbewerbsfähig bleiben muss, dadurch das Leben erschwert statt erleichtert, weil ihm über die Faktormärkte die Produktionsfaktoren entzogen werden.
Anders ist es, wenn die expansive Geldpolitik die Fiskalpolitik dominiert, denn dann kommt es zu einer Abwertung des Euros, die der Industrie natürlich hilft. So war es unter dem ersten QE-Programm, das schon im Sommer 2014 eine massive Kurssenkung bis weit unter die OECD-Kaufkraftparität hervorrief, die nie wieder korrigiert wurde. Aus europäischen Staatspapieren wechselten die Anleger in US-amerikanische Staatspapiere, und die dortigen Verkäufer gingen bei einem fallenden Euro-Kurs in europäische Beteiligungswerte, die nun billig zu haben waren. Sie gingen vor allem nach Deutschland und kauften, was nicht niet- und nagelfest war. Das wiederum ließ die Targetsalden hochschnellen. Im Endeffekt wurden deutsche Firmenwerte gegen Targetforderungen der Bundesbank hergegeben, damit die überschuldeten Staaten Europas ihre verbrieften Staatsschulden durch bloße Targetschulden ihrer Notenbanken ersetzen konnten.
Das Spiel soll jetzt offenbar wiederholt werden. Es kann aber nicht so ohne Weiteres wiederholt werden, weil eine neuerliche Abwertung nun US-Präsident Donald Trump auf den Plan riefe, der sich ohnehin schon über das erste QE-Programm beschwert hat. Wenn das Schatzamt nach China nun auch noch die EU offiziell zum Währungsmanipulator erklärt, darf er anschließend eine Kette von Maßnahmen in Gang setzen, die die deutschen Automobilverkäufe in den USA massiv behindern. Gedroht hat er damit ja schon. Dann würde sich die fein ausgeklügelte Kommunikationsstrategie der EZB, die sich hinter dem harmlosen Wort „symmetrisch“ verbirgt und ihren nächsten großen Schlag vorbereiten soll, als gefährlicher Bumerang erweisen.
Es zeigt sich einmal mehr, dass die EZB ihre Hände von der Wirtschafts- und Wechselkurspolitik lassen sollte. Dafür hat sie weder ein Mandat noch eine hinreichende politische Kompetenz.
Nachzulesen auf www.handelsblatt.com und www.project-syndicate.org.