Der Ökonom und langjährige ifo-Chef Hans-Werner Sinn prophezeit Deutschland schwere Jahre. Schuld daran sei aber nicht nur der Ukraine-Krieg, sondern vor allem die ungelösten demografischen Probleme und die enorme Staatsverschuldung der letzten Jahre.
Hans-Werner Sinn sieht auf Deutschland einen schwindenden Wohlstand zukommen. Neben der immer teurer werdenden Energie seien vor allem die ungelösten demografischen Probleme und die enorme Staatsverschuldung der letzten Jahre Gründe dafür.
„Wir haben nun mal die Baby-Boomer, die heute 56- bis 60-Jährigen, die bald in Rente gehen wollen. Hinter dieser Bevölkerungskohorte kommen nicht mehr allzu viele neue Menschen nach. Wir haben ein riesiges Versorgungsproblem, weil die Arbeitsbevölkerung wegbricht“, sagte der 74-Jährige dem Münchner Merkur im Interview (Samstagsausgabe). Der Staat werde damit „heillos überfordert“ sein. „Die sozialen Sicherungssysteme sind nicht in der Lage, die Entwicklung des Lebensstandards so fortzuführen, wie wir es gewohnt sind“, prophezeit Sinn. Den Bürgern rät er, rechtzeitig für das Rentenalter zu sparen: „Sorgt selber für euch. Glaubt nicht daran, dass der Staat das schafft.“
Gute Zeiten für längere Periode vorbei
Sinn kritisiert, der Staat habe es versäumt, Lösungen zu finden. Die Riester-Rente sei „viel zu mickrig und mit viel zu viel Fehlern behaftet“. Anstatt wie zum Beispiel Norwegen mit seinem Staatsfonds auf Aktiensparen zu setzen, habe der Bund mit Riester auf festverzinsliche Anlagen gesetzt, die extrem inflationsanfällig seien. Die guten Zeiten, prophezeit Sinn, seien nicht nur für die nächsten zehn, 15 Jahre, sondern „für eine längere Periode“ vorbei. Dass es so kommen würde, sei eigentlich schon seit Anfang der 1980er-Jahre bekannt. „Doch ist der öffentliche Diskurs zu kurzatmig, um das zu hören.“ Jungen Menschen rät Sinn, wieder auf traditionelle Familienmuster zu setzen, also Kinder zu bekommen. „Der Zusammenhalt in der Familie wird angesichts der Schwierigkeiten des Staates immer wichtiger werden.“
Der Bund, kritisiert Sinn weiter, müsse endlich mit dem Schuldenmachen aufhören und wieder eine langfristige Strukturpolitik betreiben. „Die Regierungen haben in der Pandemie das Geld wie Manna vom Himmel regnen lassen – und gleichzeitig wurden überall Lockdowns verkündet. Das war das Streichholz, mit dem die Inflation entzündet wurde.“
EZB muss die Zinsen erhöhen
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) müsse reagieren und endlich die Zinsen erhöhen, um die staatliche und private Kreditnachfrage einzubremsen. „Das Mandat ist ganz eindeutig im Maastrichter Vertrag geregelt: Die EZB muss die Preise stabil halten und darf keine Abwägung mit anderen Zielen wie zum Beispiel Wachstum oder Vollbeschäftigung vornehmen. Hier gibt es überhaupt nichts zu debattieren“, sagte Sinn dem Münchner Merkur.
Die Bundesregierung, so Sinn, dürfe Themen wie Klimarettung, Bildung oder Infrastruktur nicht als Begründung für neue Schulden nehmen. „Schulden sind unmittelbar inflationär. Man kann diese wichtigen Dinge über Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen in anderen Bereichen finanzieren.“ Und wer argumentiert, die EZB habe die Preissteigerungen nicht mit verursacht, irrt nach Meinung von Sinn. Über ihre Staatspapier-Kaufprogramme trage sie eine Mitschuld, da sie mit frisch geschaffenem Zentralbankgeld Staatspapiere für über 4000 Milliarden Euro gekauft habe.
Rückkehr zur Atomkraft sinnvoll
Angesichts der Energie-Krise durch den Ukraine-Krieg plädiert Sinn für eine Rückkehr zur Atomkraft. „Wir haben noch drei Atomkraftwerke, die betriebsbereit sind, und drei, die letztes Jahr abgestellt wurden. Insgesamt können mindestens fünf bis sechs Kraftwerke in Betrieb gehalten oder genommen werden.“ Heftige Kritik übt der Wirtschaftswissenschaftler an den Grünen. „Ich habe den Grünen nie abgenommen, dass sie am Klimathema so ernsthaft interessiert waren, wie sie taten. Denn dann hätten sie die Kernkraft nicht verteufelt.“ Spätestens Putin habe nun klargemacht, dass ihre Energiewende ein Scherbenhaufen sei. Auch Strom aus Gaswerken sei weiter zwingend notwendig.
Eine klare Absage erteilt Sinn dem viel diskutierten Gas-Embargo gegen Russland. „Die Bundesregierung hat hier die richtige Position. 48 Prozent der deutschen Haushalte heizen mit Gas – und die Hälfte des Gases kommt aus Russland. Ohne das russische Gas kommt Deutschland zumindest kurzfristig in massive Schwierigkeiten.“ Deutschland habe es versäumt, seine Energieimporte zu diversifizieren. „Die einseitige Abhängigkeit von Russland hat uns in eine Falle bugsiert. In dieser Falle zappeln wir jetzt herum.“ Auch durch Finanzhilfen könne der Staat das Gas nicht herbeischaffen, da große Terminals für LNG, also Flüssiggas, noch jahrelang fehlen.
Über Sanktionen wird Russland nicht in die Knie gezwungen
Dass der Westen Russland über Sanktionen in die Knie zwingen kann, glaubt Sinn nicht. „Die Russen haben China als alternativen Kunden. Die Pipeline „Power of Siberia“ liefert schon Gas nach China, eine
neue Leitung, „Power of Siberia II“, die den westlichen Teil des Leitungsnetzes der Russen mit Peking verbindet, ist schon vereinbart. Die darüber fließenden Gasmengen können die Russen den Chinesen schon jetzt für Kredite verpfänden. Der Westen kann Russland also den Gashahn abdrehen, nicht aber den Geldhahn.“ Die Embargo-Politik treibe Russland eher noch mehr in die Arme Chinas, „gerade dasjenige Land, das die USA in der Zukunft am meisten werden fürchten müssen“.
Auch von Importzöllen hält Sinn nichts. Seiner Ansicht nach würde es den Russen zwar einen Teil ihrer Einnahmen nehmen, doch ebenfalls bedeuten, dass sie lieber an China und Indien und über sie an den Rest der Welt verkaufen. Sinn: „Wenn der Eimer mehrere Löcher hat, nützt es nichts, eines davon zu stoppen.“
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