Wirtschaftswoche Nr. 49, 27. November 1997, S. 42-44.
Auch wenn die Europäische Zentralbank (EZB) und der Euro noch nicht bestehen, ist der Streit über die künftige Verteilung der EZB-Gewinne in vollem Gang. Die Deutschen fühlen sich benachteiligt, ohne recht zu wissen, wie groß die Einbußen wirklich sein werden. Es geistern Zahlen zwischen 13 und 150 Milliarden Mark durch die Medien. Ursache des Verlustes für die Deutschen ist, dass sie, wenn alle EU-Länder bei der Währungsunion mitmachen, nur 25 Prozent der Geldschöpfungsgewinne bekommen, obwohl sie über 30 Prozent produziert haben. Der Ökonom Hans-Werner Sinn aus München, der die Diskussion mit einer Zahl von 60 Milliarden Mark Gesamtverlust ins Rollen brachte, hat dazu ein Märchen geschrieben, um die unterschiedlichen Positionen aus seiner Sicht verständlich zu machen. Dabei vergleicht er die Bundesbank (Buba) mit einem Bauern, der mit Kühen (verzinsliche Wertpapiere im Besitz der Bundesbank), Milch (Zinsen auf diese Wertpapiere) und Gold (Zentralbankgeld, Mark oder Euro) wirtschaftet (ein Scheffel Gold gleiche eine Milliarde Mark) und nun mit anderen Bauern in eine gemeinschaftliche Molkereigenossenschaft (EZB) eintritt.
Es war einmal ein Bauer, Buba genannt, der wohnte in der Grafschaft Emu, und wie allen Bauern dieser Grafschaft ging es ihm gut. Einer göttlichen Fügung war es nämlich zu verdanken, dass in Emu Gold gefunden wurde. Es fand sich in den Bächen, im Feld und eigentlich überall. Bauer Buba war besonders wohlhabend, denn in einem Hügel der an seine Felder grenzte gab es eine Goldmine. Immer, wenn Buba Zeit hatte, nahm er sich Pikkel, Hammer und Meißel, um wieder ein wenig Gold aus dem Fels zu schlagen. Die Bauern waren klug. Sie wussten, dass man Gold nicht essen kann, und darum verwendeten sie alles Gold, das sie fanden, um Kühe zu kaufen. Ein jeder war bestrebt, eine große Kuhherde zu halten und viel Milch für seine Sippschaft zu erzeugen. Buba gab die meiste Milch seinem Vetter Fimi, denn er hatte ein gutes Herz, und es gefiel ihm, dass Fimi mit der Milch die Armen zu speisen pflegte.
Die anderen Bauern waren recht neidisch auf Buba, weil er wegen seiner umfangreichen Goldfunde über die größte Kuhherde verfügte. Sie bedrängten Buba, mit ihnen gemeinsam eine Molkereigenossenschaft zu gründen, „um die Milch besser verwerten zu können“, wie sie sagten. Buba war von der Idee nicht sonderlich begeistert, doch gab er wegen der guten Nachbarschaft und auch, weil er die Zustimmung der anderen Bauern bei der Übernahme eines heruntergewirtschafteten Nachbarhofes benötigte, schließlich nach. Über die Vergemeinschaftung der Milch- und Goldproduktion wurde ein Vertrag geschlossen, der alle Details regelte. Die anderen Bauern ließen sich bei den Verhandlungen von erfahrenen Monökos unterstützen. Das sind Fachleute, die wissen, wie man Geld schürft und es möglichst profitabel in Milchkühe umtauscht. Buba verließ sich statt dessen auf Fimi, der auch etwas von Gold zu verstehen vorgab.
Der von den Monökos vorbereitete Vertrag nahm dem Buba seine Unabhängigkeit, denn alle milch- und goldwirtschaftlichen Entscheidungen sollten fortan von einem neugeschaffenen Rat der Emu-Bauern getroffen werden. Alle Bauern hatten ihre Milchproduktion an eine Molkereigenossenschaft abzuführen und von dieser sollten sie danach eine Rückausschüttung an Milch und Milchprodukten im Verhältnis zur Größe ihrer Sippschaft erhalten. Da Buba sehr viel Gold gefunden hatte, lag sein Anteil am Kuhbestand weit über dem Anteil seiner Sippschaft an der Gesamtpopulation der Grafschaft. Buba und Fimi waren sich deshalb nicht sicher, ob sie ein gutes Geschäft gemacht haten, aber sie vermieden es, das Problem zu Hause zu diskutieren. Wenngleich sie der Überzeugung waren, durch ihre Verhandlungen Schlimmeres verhütet zu haben, war ihnen doch nicht ganz wohl bei der Sache. Die anderen Bauern hatten ursprünglich vorgeschlagen, auch die Höfe mitsamt der Kühe zu vergemeinschaften. das war Buba und Fimi zu weit gegangen. Wie hätte es denn ausgesehen, wenn der reichste Bauer sein Eigentum abtritt. Was hätte die Sippschaft dazu gesagt? Und überhaupt: Herr auf seinem eigenen Grund und Boden wollte man schon noch bleiben. Die anderen Bauern waren über den Widerstand erst verwundert, lenkten nach Beratung mit ihren Monökos schnell ein. So kam es, dass die Kühe im Privatbesitz verblieben und nur die Milch vergemeinschaftet wurde.
Der Vertrag wurde in der Grafschaft begrüßt, nur in der sippschaft von Buba und Fimi grummelte es. Ein tiefes Unbehagen begann sich zu verbreiten, und schließlich traten auch noch zwei aufsässige Ökos namens Simu und Feimu aus der entfernteren Verwandtschaft mitten auf den Hof des Buba und behaupteten, mit dem Vertrag habe man sich über den Tisch ziehen lassen. Ökos sind Fachleute für die Milchwirtschaft, die sich im Gegensatz zu den Monökos normalerweise nicht mit der Goldproduktion beschäftigen. Die beiden Ökos berechneten die Verluste des Buba und setzten die Sippschaft it den zahlen, die sie fanden, in helle Aufregung.
Bei der Verlustberechnung hatte es zwei Möglichkeiten gegeben. Man konnte den Verlust an Milch oder den Verlust an Kühen berechnen. Da der Vertrag die zu vergemeinschaftende Milchmenge nicht spezifizierte, aber bis auf die letzte Unze genau den Wert der Kühe festlegte, deren Milch zu vergemeinschaften war, entschlossen sich Feimu und Simu, den Verlust in Form des Wertes der Kühe auszurechnen. Sie kamen auf einen Betrag von 64 Scheffeln Gold, was etwa einem Fünftel des Gesamtwertes aller mit Gold gekauften Kühe des Buba (310 Scheffel) entsprach. Wenngleich alle Kühe des Buba formell in dessen Eigentum blieben, war dieses der Wert der Kühe, deren Milch auf dem Wege über die Molkereigenossenschaft letzten Endes in andere Mägen fließen sollte. Dass Buba und Firmi stolz darauf waren, die Vergemeinschaftung auf die Milch beschränkt zu haben, konnten die beiden Ökos nicht nachvllziehen. Nach ihrer Meinung kam der Vertrag einer Vergemeinschaftung der Kühe gleich. Ob man ein Fünftel der Kuhherde direkt an andere Bauern verschenke oder sich verpflichte, die Milch dieses Teils der Kuhherde (einschließlich ihrer Nachkommen) auf immer und ewig an andere Bauern abzuführen, sei dasselbe. Der Verlust des Buba liege in jedem Fall bei 64 Scheffeln Gold.
Zu Hause zur Rede gestellt blieb Buba und Fimi nichts anderes übrig, als den Vertrag zu verteidigen und die Berechnungen der Ökos herunterzuspielen. Zu ihrer Verteidigung wiesen sie unter anderem darauf hin, dass der Vertrag eine fünfjährige Übergangsregelung zur Begrenzung des Milchverlustes enthielt, der nicht berücksichtigt worden sei. Das wussten Simu und Feimu und hatten deshalb den Kuhverlust für den Zeitpunkt nach Abschluss der Übergangsfrist berechnet. Spätestens nach fünf Jahren seien aus der vorhandenen Herde Kühe im Wert von 64 Scheffeln Gold für immer verloren, daran lasse sich niciht rütteln.
Nun fühlten sich die andere Monökos und Ökos berufen, Buba und Fimi moralisch zur Seite zu stehen, und nacheinander kamen sie auf den Hof gelaufen, um die Sippschaft, die um ihr Vermögen bangte, mit den verschiedensten Argumenten zu beschwichtigen. Besonders dankbar waren Buba und Fimi für die Unterstützung durch Fridres, der sich als Marktschreier eines bekannten Kuhhändlers weithin Gehör verschaffen konnte. Fridres behauptete mit der ganzen Autorität seines Amtes, dass der Verlust nicht 64, sondern allenfalls 25 Scheffel Gold betrage. Er hatten den Milchverlust während der fünfjährigen Übergangsfrist berechnet, was natürlich nicht dasselbe war wie der Kuhverlust nach Abschluss dieser Frist.
Ein anderer Monöko trat dem Fridres mit einem Artikel im „Habla“ mit ganz ähnlichen Argumenten zur Seite. Man solle doch um Himmels Willen nicht von einem Verlust von Kühen reden, wo doch nur die Milch verlorengehe, und man solle dem Buba keine Vorwürfe machen. Er habe zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einen schlechten Tag gehabt und gar nicht gewusst, wie reich er war. Ein dritter Fürsprecher wies im angesehenen Ökojournal „Tempo“ beschwichtigend darauf hin, der Milchverlust betrage nach seinen Rechnungen nur 13 Scheffel Gold pro Jahr, was doch wesentlich weniger als die 64 Scheffel seien, die im Raum stünden. Feimu und Simu unternahmen gar nicht erst den Versuch, dem Kollegen klarzumachen, dass der Milchverlust im Wert von 13 Scheffeln Gold pro Jahr bei einem Zinssatz von fünf Prozent einen einmaligen Kuhverlust im Wert von 260 Scheffeln Gold, also fast eine Totalenteignung des Buba, bedeutete hätte. Auch hatten sie keine Lust, über die Zurechnungsfähigkeit des Buba zu streiten. Sie empfanden Mitleid und beschlossen mildernde Umstände walten zu lassen.
Weniger Verständnis hatten sie indes für die von Fridres vorgebrachte Behauptung, dass für das von Buba in Umlauf gebrachte Gold bald ohnehin kein Bedarf mehr bestanden hätte. Denn die Kuhherde häte sich sowieso wieder verkleinert, und Buba hätte damit rechnen müssen, einen Teil seines Goldes wieder zurückzunehmen. Simu und Feimu empfanden diese Behauptung angesichts der nun bald 50 Jahre währenden und niemals unterbrochenen Zunahme des Kuhbestandes beim Buba als reichlich realitätsfern. Da leuchtete ihnen die entgegengesetzte Argumentation des Ökos Wewü, der wegen seiner gelegentlichen Torerospiele in den Kuhställen gefürchtet war, schon mehr ein. Wewü vertrat den Standpunkt, der Verlust des Buba liege nicht nur in dem Fünftel der Milchkühe, die schon bei Vertragsbeginn auf den Weiden des Buba stünden, sondern umfasse auch ein Fünftel des zukünftigen Zuwachses am Milchkuhbestand, der später einmal aus weiteren Goldfunden finanziert werden könne. Der Gegenwartswert dieses zukünftigen Zuwachses sei gleich dem Wert des beim Bauern Buga noch im Boden liegenden Goldes, also gleich dem Wert des Schürfrechtes. Addiere man ein Fünftel dieses Schürfrechtes zu dem Fünftel der schon vorhandenen Kuhherde hinzu, so komme man auf einen Verlust von 150 Scheffeln Gold.
Dennoch hatte auch er etwas anderes im Sinn, als Feimu und Simu hatten berechnen wollen. Den beiden Milchwirtschaftlern war es nur um den Verlust der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses schon vorhandenen Kühen gegangen. Ungerecht sei nicht die Vergemeinschaftung der Schürfrechte, sondern nur, dass Buba mit der Teilnahme an der Molkereigenossenschaft faktisch einen Teil seiner existierenden Kuhherde abtrete. Buba und Fimi hätten mit der Sanierung des heruntergewirtschafteten Nachbarhofes genug Sorgen, und der Fimi habe die Milch des Buba stets auch zur Speisung der Armen aus anderen Bauernschaften benutzt. Insofern sei man ohnehin der größte Nettozahler der Grafschaft. Es sei nicht in Ordnung, wenn die anderen Bauern versuchten, den Buba zu übervorteilen.
Simu und Feimu trugen ihre Argumente auch bei den anderen Bauern vor und weckten ehrliches Mitgefühl für Buba und Fimi. Manch einer schämte sich gar sehr, und bisweilen konnte man sogar Tränen in den Augen der hartgesottenen Männer entdecken. Nun wollte sich keiner mehr an der Milch des Buba bereichern, und einstimmig setzten die Bauern die entsprechenden Passagen ihres Vertrages außer Kraft. Fortan brauchte nur noch die Milch der neuen Kühe an die Molkereigenossenschaft abgeführt werden. Die Milch der alten Kühe durfte ein jeder behalten. Bauer Buba und sein Vetter Fimi waren froh über diese Wendung des Schicksals. Sie arbeiteten fortan glücklich und zufrieden für die Molkereigenossenschaft, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.