Handelsblatt, 14. Juni 2011, Nr. 113, S. 9.
Ein guter Demagoge kann ein Argument semantisch so verdrehen, bis er den Widerspruch provoziert. Ich kenne auch unter Journalisten demagogische Talente, die das bei meinen Aussagen zu den Target-Salden getan haben. Ich liebe den Widerspruch, muss aber darauf bestehen, dass meine Positionen richtig wieder gegeben werden.
Die Target-Salden der GIPS-Länder (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien) messen das Zusatzgeld, das ihre Notenbanken über das Maß hinaus gedruckt haben, das für die eigene, innere Geldversorgung benötigt wurde: gut 340 Milliarden Euro. Das habe ich so in der FAZ vom 4. Mai erläutert. Das zusätzliche Geld wurde verwendet, um netto Güter und Vermögensobjekte in anderen Ländern des Euroraums zu erwerben.
Als die Finanzkrise ausbrach und die privaten Kapitalmärkte nicht mehr bereit waren, den Südländern grenzenlosen Kredit zu gewähren, tat es die europäische Zentralbank. Sie hat dabei aktiv mitgeholfen, indem sie sich mit immer weniger Sicherheiten bei ihrer Geld- und Kreditschöpfung begnügte. Das kritisiere ich nicht in Bausch und Bogen, wie mir unterstellt wird. Die EZB hat richtig gehandelt, als die Krise hereinbrach und die Parlamente gar keine Zeit hatten zu reagieren. Es war aber de Facto ein gewaltiger Bailout, eine fiskalische Maßnahme, die in ihrem Kern eigentlich keine Geldpolitik mehr ist. Die Zeit, die Parlamente einzuschalten, hätte es inzwischen lange gegeben.
Die Bundesbank war dabei insofern im Spiel, als das frisch gedruckte Geld fast vollständig in ihr Hoheitsgebiet floss, für deutsche Nettoexporte von Gütern und Vermögensobjekten wie Firmen, Aktien, Staatspapiere oder auch nur Bankforderungstitel. Sie hat dafür zwar zum Ausgleich eine Forderung gegen die EZB erhalten, doch wie sicher die ist, steht in den Sternen. Wenn die GIPS-Länder Pleite gehen und die Sicherheiten ihrer Notenbanken, häufig bloß Staatspapiere, auch nichts mehr wert sind, trägt sie jedenfalls erhebliche Verluste. Nicht allein, und nicht voll, wie ich angeblich behaupte, wohl aber im Umfang des deutschen EZB-Kapitalanteils an den Sonder-Geldschöpfungskrediten an die GIPS-Länder. In der Süddeutschen Zeitung vom 2. April 2011 habe ich daraus ein Haftungsrisiko von 114 Milliarden Euro berechnet. Diese Zahl ist korrekt.
Verständnisprobleme ruft meine Aussage hervor, dass der Geldfluss die Kreditvergabe der Bundesbank verdrängt hat. Mir wird von meinen geliebten Demagogen untergejubelt, ich nähme fälschlicherweise an, dass EZB die Geldmenge fixiert. Davon kann nicht die Rede sein. Die Banken können zwar zum herrschenden Zins so viel Geld von der Bundesbank leihen, wie sie wollen, doch sie wollen es nicht. Überschussliquidität bringt nichts und kostet nur Zinsen. Deswegen gehen die Refinanzierungsgeschäfte der Bundesbank in Deutschland in dem Umfang zurück, wie Geld über das Target-System aus dem Ausland hereinströmt. Der Kredit, den die Bundesbank in Deutschland hätte vergeben können, wird damit letztlich durch den Kredit verdrängt, den sie auf dem Wege über das Zentralbanksystem den GIPS-Staaten gab.
Ich kann mir vorstellen, dass gerade diesen Punkt manche Kritiker nicht verstehen. So einfach ist die Volkswirtschaftslehre auch nicht.
Die 340 Milliarden Euro sind jedenfalls ein echter Kredit der Staatengemeinschaft an die GIPS-Länder, der sie wie jeder andere Kredit in die Lage versetzt, sich mehr Güter und Vermögensobjekte im Ausland zu kaufen, als es ihnen sonst möglich wäre. Im Hinblick auf die Haftung und den wirklich herbeigeführten Ressourcentransfer unterscheidet er sich kaum von kurzfristigen Eurobonds, deren Emissionserlös mit gemeinschaftlicher Haftung der Euroländer als Kredit an die GIPS-Länder gegeben wird. Der Unterschied zu echten Eurobonds ist nur, dass die Zentralbanken der GIPS-Länder nach eigenem Gustus über diesen Kredit verfügen können, sofern sie Sicherheiten bieten, und dass die Bundesbank den Kauf der impliziten Eurobonds nicht ablehnen kann.
Die Möglichkeit, Target-Kredite aufzunehmen, lädt zur Selbstbedienung ein. Deshalb hat das amerikanische Zentralbanksystem ihnen die Attraktivität genommen. Dort müssen negative Salden des Interdistrict Settlement Account, die das Analogon der Target-Salden sind, jedes Jahr im April durch goldgedeckte Wertpapiere oder andere sichere Wertpapiere, die der Distrikt selbst nicht schaffen kann, bezahlt werden. In den USA wird es einem Distrikt der Zentralbank Federal Reserve (es gibt davon zwölf) nur dann erlaubt, mehr Geld zu drucken, als im Inneren verwendet wird, wenn dieser Distrikt dafür echte, marktgängige Vermögensobjekte an andere Distrikte überträgt.
Ein Distrikt, der mehr Güter importieren will, als er exportiert, muss sich dafür in anderen Distrikten einen privaten Kredit besorgen oder marktgängige Vermögensobjekte hergeben, und ein Distrikt, dessen Bürger per Saldo Vermögensobjekte in anderen Distrikten erwerben wollen, muss dafür mehr Güter exportieren, als er importiert. Mit der Geldpresse, wie im Euroraum, darf er seine Wünsche jedenfalls nicht befriedigen.
Der Autor ist Präsident des ifo-Instituts in München.