Europäische Ungleichgewichte

Hans-Werner Sinn, Giuseppe Bertola, John Driffill, Harold James, Jan-Egbert Sturm, Akos Valentinyi

oekonomenstimme.org, 26. Februar 2013.

Drei zusammenhängende Krisen plagen Europa: eine Zahlungsbilanzkrise, eine Staatsschuldenkrise und eine Bankenkrise. Während die beiden letzteren von der Politik angegangen wurden, bleiben die grossen internen Ungleichgewichte in Europa bestehen. Dies muss sich ändern.

Europa ist in der Hand dreier zusammenhängender Krisen: einer Zahlungsbilanzkrise, einer Staatsschuldenkrise und einer Bankenkrise.[1] Politiker haben überwiegend die Staatsschulden- und Bankenkrise fokussiert. Allerdings muss eine glaubhafte Strategie, die den Euroraum wieder auf den richtigen Kurs bringen soll, das Problem der großen internen Ungleichgewichte in Angriff nehmen. Für den Wiederausgleich wird eine Abwertung der Länder mit Leistungsbilanzdefizit notwendig sein. Die entscheidende Frage ist das Wie. Soll eine Abwertung intern ohne Ausstieg aus dem Euro oder extern nach Austritt aus dem Euro erfolgen?

Es gibt einen großen Bestand an Literatur zu globalen Ungleichgewichten. Bisher wurde jedoch den Ungleichgewichten innerhalb der Europäischen Union oder dem Euroraum wenig Beachtung geschenkt (vgl. Lane und Milesi-Ferretti (2007) für die Implikationen der globalen Ungleichgewichte für Europa). Ein Grund dafür könnte gewesen sein, dass die Zahlungsbilanz der Europäischen Union und die des Euroraums im Zeitraum von 1995-2011 annähernd ausgeglichen waren. Die externe Bilanz des Euroraums verschleierte indes das nicht unwesentliche interne Ungleichgewicht im Innern. Insbesondere die GIIPS-Staaten (Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien) hatten zusammen ein Zahlungsbilanzdefizit, das seit den späten 1990ern anstieg. Dieses Defizit wurde während des gesamten Zeitraums  größtenteils durch den deutschen Zahlungsbilanzüberschuss ausgeglichen. Der Rest des Euroraums war annähernd ausgeglichen. Zahlungsbilanzdefizite und -Überschüsse hatten entsprechende Änderungen der internationalen Netto-Vermögensposition zur Folge. Deutschland verbesserte stetig seine Vermögensposition, während die GIIPS-Staaten große Auslandsverbindlichkeiten akkumulierten, was sich auf ungefähr 20 Prozent des BIP des Euroraums belief.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die GIIPS-Staaten vermehrt auf öffentliche Unterstützung vertrauten, um sich international zu finanzieren. Seit 2007 war die Hauptquelle dieser öffentlichen Unterstützung der EZB-Target-Kredit. Öffentliche Geldflüsse, die sich in einer Erhöhung der Target-Bilanz wiederspiegeln, haben im Wesentlichen die privaten Kapitalbewegungen ersetzt. Sie haben die Zahlungsbilanzdefizite in Griechenland, Portugal und Spanien seit Winter 2007/2008 finanziert oder (zumindest) mitfinanziert und kamen für die Kapitalflucht aus Irland nach der Lehman-Krise auf, ebenso wie für die aus Spanien und Italien seit Sommer 2011 (vgl. Sinn und Wollmershäuser (2012)).

Es gab wohl zwei primäre und zusammenhängende Ursachen für die Zahlungsbilanzungleichgewichte. Erstens schaffte die Einführung des Euros das Wechselkursrisiko ab und veranlasste Investoren länderspezifische Bankrottrisiken außer Acht zu lassen (vgl. EEAG (2012)). Zweitens erzeugte das Eurosystem optimistische Erwartungen bezüglich einer schnellen Konvergenz der Peripherieländer (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien) mit dem Kern des Euroraums (vgl. Blanchard und Giavazzi (2002)). Beide Begründungen generierten einen Investment- und Kreditboom in der Peripherie und implizierten einen Aufholprozess mit internationalen Kapitalbewegungen vom Kern in die Peripherie, die sich in den Zahlungsbilanzdefiziten wiederspiegelten. In der Tat, je ärmer ein Land im Jahr 1995 im Vergleich zum Durchschnitt war, desto größer war im Durchschnitt sein Leistungsbilanzdefizit zwischen 2002 und 2007. Der Aufholprozess ging mit rasant steigenden Preisen in der Peripherie einher, was die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder schwächte. Die Preise in kapitalexportierenden Ländern, wie Deutschland, Österreich oder Finnland, stiegen nur relativ gering, in kapitalimportierenden Ländern, wie Estland, Griechenland, Spanien oder Portugal, jedoch viel mehr. Alle Länder des Euroraums werteten relativ zu Deutschland auf, in geringerem oder größerem Umfang, wobei Kapitalimporteure dazu tendierten, stärker aufzuwerten.

Wiederausgleich im Euroraum

Länder der europäischen Peripherie müssen abwerten, d.h. sie müssen relativ zu den Kernländern günstiger werden, um ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen und die Ungleichgewichte zu reduzieren. Die entscheidende Politikfrage ist, ob eine interne oder eine externe Abwertung nach Austritt aus dem Euroraum zu bevorzugen ist.

Wenn eine externe Abwertung nach einem Austritt zügig durchgeführt werden kann, sollte es im Prinzip zu keinen Verlusten bei Produktion und Beschäftigung kommen. Dennoch wirft eine solche Abwertung die Frage nach Stabilität und Fortbestand der Währungsunion auf. Eine interne Abwertung durch fallende Preise in der Peripherie kann nur durch Sparprogramme erreicht werden, welche zu einer Periode der Stagnation und Massenarbeitslosigkeit in der Peripherie aufgrund der Abwärtsrigidität von Preisen und Löhnen führen. In Griechenland und Spanien, zwei Länder mit signifikanten Sparprogrammen, erreichen die Arbeitslosenquoten bereits die 30 Prozentmarke. Interne Abwertung durch steigende Preise im Kern führt nicht zu einer Rezession in der Peripherie. Der Kern muss jedoch die Kosten hoher Inflation tragen, was wiederum die Stabilität der Währungsunion schwächen würde.

Das Verlassen einer Währungsunion ist im Vergleich zur Auflösung einer Währungsbindung mit zusätzlichen Kosten verbunden. Ein Austritt aus dem Euroraum erfordert die Umstellung von Vermögenswerten/Aktiva, Passiva und Verträgen auf die neue Währung. Eine Umstellung von einer starken auf eine schwache Währung muss in einem Land unerwartet kommen, damit es zu keinem Run auf Kapitalanlagen kommt. Wenn der Austrittsplan bekannt wird, werden die Bilanzen sowohl der finanziellen als auch der nichtfinanziellen Unternehmen unter Druck gesetzt, was unweigerlich zu einem Verlust von Arbeitsplätzen, Produktion und Exporten in der kurzen Frist führt.

Leider ist es schwierig eine unvorhergesehene Währungsumstellung in einer Demokratie zu implementieren (Eichengreen (2010) war einer der ersten, der dies deutlich machte). Der Prozess erfordert die Verabschiedung durch das Parlament, der Diskussionen mit Interessenvertretern, einschließlich Vertreter von Banken, Firmen, Gewerkschaften und Verbrauchervereinigungen etc., vorangehen. Implementierungsmaßnahmen, wie die Verteilung der neuen Währung über das Land, erfordern extensive Planung und Organisation, was eine große Anzahl an Leuten involviert. Kurzgefasst, Währungsumstellungen werden tendenziell antizipiert und von einem Run auf Anlagen vorausgegangen. Zweitens ist es auch schwierig Währungsumstellungen vollständig durchzuführen. Stellt eine Regierung externe Zahlungsverpflichtungen auf eine neue Währung um, wird das zu einer Zahlungsunfähigkeit ihres Landes bezüglich all seiner externen Schulden (öffentliche und private) führen. Stellt sie externe Verbindlichkeiten nicht um und wird ein Austritt antizipiert, werden inländische Kreditgeber so viele inländische Verbindlichkeiten wie möglich ins Ausland transferieren, um ihre internen Verbindlichkeiten extern zu machen und so ihre Werte vor einer Abwertung zu schützen. Gegeben dem hohen Grad an Finanzmarktintegration innerhalb des Euroraums ist dieser Vorgang nicht sehr schwierig. Folglich werden nach dem Austritt eines Landes aus der Währungsunion mit ziemlicher Sicherheit Währungsunterschiede gewissen Ausmaßes mit den wohlbekannten negativen Bilanzauswirkungen auftreten.

Eine Hauptschwierigkeit einer internen Abwertung ist, sofern sie durch Deflation ausgetragen wird, dass sie sowohl die inländische als auch die externe Schuldenlast erhöht. Verschuldete Firmen und Haushalte wären womöglich nicht im Stande, den Schuldendienst zu tragen, und könnten in Konkurs getrieben werden. Im Gegensatz hierzu erhöht einen externe Abwertung nicht die interne Schuldenlast, vorausgesetzt die Zinssätze steigen nach der Abwertung nicht. Sie erhöht lediglich die externe Schuldenlast, jedoch auf die gleiche Weise wie es die interne Abwertung macht.

Interne Abwertung in der Peripherie seit 2008

Seit Beginn der Krise gab es Anpassungen in der Peripherie des Euroraums, oder wenn wir Italien miteinschließen, in den GIIPS Staaten; das Timing und der Umfang der Anpassungen waren jedoch heterogen. Spanien und Irland haben ihre Zahlungsbilanz um ca. 6 Prozentpunkte des BIPs in den letzten vier Jahren verbessert, während Griechenland und Portugal etwas geringere Erfolge verzeichneten. Die Zahlungsbilanz hat sich lediglich in Italien verschlechtert, das ein relativ geringes Zahlungsbilanzdefizit vor der Krise aufwies. Insgesamt  beobachten wir das Muster, dass sich die Zahlungsbilanz in Ländern, die mit einem Defizit begonnen hatten, üblicherweise verbesserte, und in Ländern, die mit einem Überschuss starteten, verschlechterte. Leider scheint der Großteil an Verbesserungen in den Zahlungsbilanzen Einkommenseffekten geschuldet zu sein. Gegeben der Tatsache, dass die Krise die Einkommen verringert hat, sind Importe mit dem Einkommen gesunken, während Exporte relativ stabil geblieben sind. Was dennoch nötig ist, ist eine Verbesserung aufgrund von Substitutionseffekten aus der Änderung relativer Preise durch einen internen Abwertungsprozess.

Seit Beginn der Krise gab es nur eine geringe Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch Änderung der relativen Preise in südlichen Ländern. Zwischen dem 1. Quartal 2008 und dem 3. Quartal 2012 hat Spanien in Relation zu Deutschland eine Wertminderung von 2,8 Prozent erfahren, während Griechenland sein relatives Preisniveau beibehielt und Italien und Portugal leicht aufwerteten. Nur Irland wertete relativ zu Deutschland um 7,5 Prozent ab.

Schlussfolgerungen

Die Peripherie-Länder müssen abwerten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen und Ungleichgewichte innerhalb des Euroraums zu reduzieren. Die politische Schlüsselfrage ist, ob sie den Weg der internen oder externen Abwertung einschlagen sollten. Die Antwort ist nicht eindeutig. Interne Abwertung durch Inflation im Kern ist womöglich aufgrund des Widerstands im Kern und dem Ziel der EZB, Preisstabilität durch Deflation in der Peripherie aufrecht zu erhalten, nicht machbar. Dem gegenüber könnte eine externe Abwertung mit hohen Ansteckungskosten verbunden sein. Sie erfordert zudem die Umstellung von Vermögenswerten, Verbindlichkeiten und Verträgen auf eine neue Währung im Vorfeld des Austritts, was wahrscheinlich schwerwiegende Störungen in der kurzen Frist verursachen würde. In Anbetracht dessen haben Politiker die Austrittsoption bis auf weiteres ausgeschlossen. Der Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik muss demnach auf der Suche nach Möglichkeiten für eine interne Abwertung, trotz ihrer Schwierigkeiten, liegen.

1 Dieser Beitrag beruht auf dem Kapitel 2  Europäische Ungleichgewichte des EEAG-Berichts 2013, der am 25. Februar 2013 in Brüssel vorgestellt wurde.

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