WirtschaftsWoche, 20. Januar 2023, Nr. 4, S. 39.
Sondervermögen für die Bundeswehr, Wirtschaftsstabilisierungsfonds, Sondervermögen für die Gaspreisbremse, Eigenmittel der EU - dies alles sind Begriffe, mit denen die Politik die Bürger in den vergangenen Jahren überrascht und auch irgendwie beruhigt hat. So mancher mag gedacht haben: „Wie schön, dass wir noch so viel Geld auf der hohen Kante haben. Die Bundesrepublik ist eben doch ein solide finanzierter Staat.“ Doch ist die Politik bei der Begriffsbildung nur dem Rat von Kommunikationsprofis gefolgt. Tatsächlich sind die „Sondervermögen“, die „Fonds“ und „Eigenmittel“ nur Kreditermächtigungen für Schulden, also Fremdmittel der staatlichen Instanzen. Die Begriffe meinen also exakt das Gegenteil dessen, was sie andeuten. Dass sich nicht einmal das Bundesverfassungsgericht an dieser Dreistigkeit gestoßen hat, ist schwer zu begreifen.
Nun könnte man über die verbale Trickserei hinwegsehen, wenn es nicht um riesige Beträge ginge. Beim Finanzmarktstabilisierungsfonds wurden 480 Milliarden Euro an Schulden bewilligt, beim Wirtschaftsstabilisierungsfonds zunächst 600 Milliarden, die später auf 250 Milliarden begrenzt wurden. Beim Sondervermögen Bundeswehr sind es 100 Milliarden, für die Energiepreisbremse gibt es 200 Milliarden. Der deutsche Klima- und Transformationsfonds erzeugt Schulden von bis zu 177 Milliarden. Hinzu kommen kleinere und weniger bekannte Sonderschulden.
Auch das NextGenerationEU-Projekt der Europäischen Union ist ein Sondervermögen mit erlaubten Schulden von derzeit 807 Milliarden Euro. Davon entfallen anteilig 23,6 Prozent oder 190 Milliarden Euro auf Deutschland, selbst wenn man von der gesamtschuldnerischen Haftung absieht. In der Summe könnten die derzeit aktiven Sondervermögen zu Belastungen für den deutschen Steuerzahler von bis zu 900 Milliarden Euro führen.
Von den ermöglichten Krediten sind heute noch rund 400 Milliarden Euro ungenutzt. Je nach Annahme über die Verteilung dieser Mittel über die Jahre sind damit Defizite in der Größenordnung von zwei bis vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erwarten. Das ist ein Vielfaches des nach dem Grundgesetz für Normalzeiten erlaubten Defizits von 0,35 Prozent oder des maximalen strukturellen Defizits von 0,5 Prozent, das die EU-Regeln vorsehen.
Aber das ist noch nicht alles. Auch die deutschen Länder haben das Tricksen gelernt. Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage kamen sie auf noch nicht ausgenutzte Kreditermächtigungen in Höhe von 110 Milliarden Euro. Meistens wurden dafür Notlagen reklamiert, die gar keine waren: Die Kreditmittel dienten wohl eher normalen Haushaltszwecken. Im Jahr 2021 existierten allein 50 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen für die Finanzierung von Pensionslasten. Nach dem Grundgesetz dürfen die Länder eigentlich gar keine Schulden mehr aufnehmen.
Die Schuldenorgie und die finanzielle Trickkiste der Politik drohen das Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland und den Euro zu destabilisieren. Das zeigt sich bereits an den hohen Teuerungsraten. Zwar hatte die Inflation ihre hauptsächliche Ursache in der weltweiten Angebotsverknappung durch die Coronalockdowns und gedrosselte Energieimporte. Doch trug die Schuldenfinanzierung der staatlichen Budgets, in Europa nicht zuletzt angefeuert durch die Niedrigzinspolitik und Geldschwemme der Europäischen Zentralbank, zum Inflationsgeschehen bei. Eine Schuldenfinanzierung erhöht im Gegensatz zu einer Steuerfinanzierung die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, weil sie bei den Nutznießern staatlicher Ausgaben die Kaufkraft erhöht – während sie die Inflationslast der Sparer zunächst vernebelt.
Gefährliche neue EU-Pläne
Insofern ist es unverantwortlich, dass die Politik die Trickserei trotz Inflation fortführt. Die gerade beschlossene Gaspreisbremse ist angeblich so konstruiert, dass sie keinen Anreiz für eine höhere Gasnachfrage bietet. Aber gerade wenn das der Fall ist, fließen die verausgabten Mittel nicht an die ausländischen Gaslieferanten, sondern bleiben im Inland und tragen zur Inflation bei anderen Verbrauchsgütern bei. Und wenn EU-Kommissar Gentiloni Erfolg mit seinem Bemühen hat, einen neuen riesigen EU-Fonds aufzulegen, mithilfe dessen man den französischen Wünschen nach neuen Industriesubventionen nachkommt, dann dürfte dies die Inflation in Europa erneut ankurbeln.
Allein der mickrige schuldenfinanzierte Aktienfonds für die deutsche Rentenversicherung (zehn Milliarden Euro), den Finanzminister Lindner und Arbeitsminister Heil jüngst vorgeschlagen haben, ist mit Blick auf die Inflation irrelevant – jedenfalls solange der Staat mit dem Schuldengeld Aktien kauft. Bei der Kreditaufnahme für diesen Fonds geht es um eine Umschichtung von Staatsvermögen – und nicht um die Zuführung von Kaufkraft in den Wirtschaftskreislauf. Vielleicht sollte man dies bei einer dringend notwendigen Reform der Schuldenregeln von Deutschland und EU beachten – und aus dem noch schmalbrüstigen Fonds ein respektables Investment machen.
Nachzulesen auf www.wiwo.de.