Presseartikel von Hans-Werner Sinn, Wirtschaftswoche, 25.06.2012, Nr. 26, S. 37
DENKFABRIK | Eine Bankenunion hätte für Deutschland fatale Folgen. Mit ihrem geringen Eigenkapital sind die deutschen Banken außerstande, marode Kreditinstitute in südeuropäischen Krisenstaaten zu stützen. Die einzige Lösung der Bankenkrise liegt in Debt-Equity-Swaps, dem Umtausch von Fremd- in Eigenkapital. Von Hans-Werner Sinn
In Ihrer Abschlusserklärung haben die Teilnehmerstaaten des G20-Gipfels in Los Gabos (Mexiko) faktisch eine europäische Bankenunion gefordert, die eine gemeinsame Regulierung, den Aufbau einer Einlagenversicherung und die Rekapitalisierung des europäischen Bankensystems impliziert. Im Grundsatz muss Bundeskanzlerin Angela Merkel all dem zugestimmt haben, sonst wären diese Postulate nicht explizit in die Erklärung aufgenommen worden. Bei ihrem Bestreben, die Abschreibungsverluste auf toxische Immobilien- und Staatskredite der Südländer auf andere abzuwälzen, haben die Krisenbanken und ihre internationalen Gläubiger, nicht zuletzt amerikanische Pensionsfonds und französische Banken, somit einen weiteren Sieg errungen.
Manche deutsche Politiker mögen glauben, dass sich eine Bankenunion mit einer kleineren Lastverschiebung zwischen den Ländern Europas bewerkstelligen lässt. Nachdem die Politik mit dem Rettungsschirm ESM ohnehin einen großen Schritt zur Vergemeinschaftung der Staatsschulden gemacht hat, komme es nun auch nicht mehr darauf an, ob man auch noch die Banken der Krisenländer stütze, so hört man es allenthalben. Das ist jedoch eine gefährliche Illusion.
Während die Staatsschulden von Griechenland, Irland, Italien Portugal und Spanien Ende 2011 bei 3,3 Billionen Euro lagen, betrugen die Bankschulden 9,2 Billionen Euro, waren also bald drei Mal so groß. Zusammengenommen lagen die Bank- und Staatsschulden der Krisenländer brutto bei etwa 12,5 Billionen Euro. Zieht man zur Vermeidung von Doppelzählungen die Staatspapiere ab, die sich im Besitz der Banken befanden, errechnet sich eine immer noch gigantische Schuldensumme von etwa zwölf Billionen Euro. Kaum auszudenken, was mit Deutschland passieren würde, wenn auch nur ein moderater Prozentanteil hiervon auf die noch gesunden Länder des Euro-Raums übertragen werden müsste. Mit seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 2,5 Billionen Euro würde sich Deutschland mit Garantieerklärungen gewaltig überheben.
Hier drängen sich Parallelen zum Fall Irland auf. Als die irischen Banken in Schwierigkeiten kamen und hohe Zinsen zahlen mussten, redeten sie ihrer Regierung ein, ein staatliches Garantieversprechen könne die Zinsen senken und das Problem beheben, ohne dass die Garantien jemals gezogen werden müssten. Irland garantierte den Gläubigern seiner Banken daraufhin Kredite im Umfang von 235 Prozent des irischen BIPs. Das Land geriet dadurch an den Rand des Konkurses und musste mit Krediten der Staatengemeinschaft und der Europäischen Zentralbank (EZB) in Höhe von insgesamt 267 Milliarden Euro oder 171 Prozent vom irischen BIP gerettetwerden (144,5 Milliarden Euro Target- Kredite, 55 Milliarden Euro Staatspapierkäufe, 67,5 Milliarden Euro von EFSM, ESM, IWF sowie bilaterale Kredite von Großbritannien, Schweden und Dänemark). Irland hatte Glück, weil es ein kleines Land ist. Kommt ein großes Land wie Deutschland in die gleiche Lage, wird ihm niemand helfen können.
Auch die deutschen Banken sind außerstande, die Risiken der Kreditinstitute in den Krisenländern zu übernehmen. Sie verfügen nur über ein Eigenkapital von 354 Milliarden Euro — ein Klacks im Verhältnis zu den 9,2 Billionen Euro Bankenschulden der Krisenländer. Selbst nur für die Einlagen der maroden Banken in der Peripherie einzustehen, die bei 3,6 Billionen Euro liegen, ist unmöglich. Bei einer großen Pleite der Krisenländer, die Banken und Staat umfasst, müssten die deutschen Geldhäuser, wenn Deutschland nach seiner Größe im Euro-Raum beteiligt wird, etwa 43 Prozent der Einlagen der Banken der Krisenländer oder 1,55 Billionen Euro selbst absichern. Natürlich steht eine vollkommene Haftung für die Schulden der Krisenländer noch nicht auf der Agenda. Wie immer wird man anfangs nur eine begrenzte Haftung vereinbaren. Aber nach dem kleinen Finger werden die Finanzmärkte die ganze Hand ergreifen. Die Investoren werden mit Rückdeckung ihrer Regierungen immer unerbittlicher Nachschub bei der Haftung verlangen und erst Ruhe geben, wenn in Deutschland nichts mehr zu holen ist. Insofern ist die deutsche Regierung gut beraten, hart zu bleiben und jene in die Haftung zu nehmen, die ihr Geld bei den Banken angelegt haben — auch wenn dazu deutsche Institute gehören. Die einzig sinnvolle Lösung der Bankenkrise liegt in Debt-Equity-Swaps, also im Umtausch von Fremdkapital in Eigenkapital. Die Eigentümer der Banken Südeuropas müssen akzeptieren, dass sie ihr Eigentum an den Bankaktien verlieren und ihre Anteile im Umfang der Verluste an ihre Gläubiger übertragen, um diese für den Verzicht auf einen Teil ihrer Ansprüche zu kompensieren. Diese Lösung führt sofort zu einer Rekapitalisierung und Stabilisierung der Bankensysteme. Das Geheule wird groß sein, weil man sich schon auf die Rettung durch die Steuerzahler und Rentner der EU-Kernländer eingestellt hatte. Aber die Politik muss das durchstehen. Es gibt keine anderen Gruppen, denen man die absehbaren Abschreibungsverluste zuweisen kann.
Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts und Ordinarius an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.