Das Rentensystem in Deutschland steht unter Druck – viele Fachleute sind daher besorgt. Der renommierte Ökonom Hans-Werner Sinn legt dar, welche Maßnahmen nun ergriffen werden müssen.
Berlin – Der Top-Ökonom und Ex-Wirtschaftweise Hans-Werner Sinn scheut klare Worte nicht, wenn es um das deutsche Rentensystem geht. Die Lage sei „hochproblematisch“, warnt der ehemalige Leiter des Münchner ifo Instituts in einem Gastbeitrag der Wirtschaftswoche.
Top-Ökonom Sinn: „Fehlanreize für eine Frühverrentung“ abschaffen
Das Problem: Deutschland habe „einen besonders hohen Anteil an – selbst kinderarmen – Babyboomern, die nun ins Rentenalter kommen“. Zugleich steige wegen des medizinischen Fortschritts die Lebenserwartung. „Im Jahr 2035 wird auch nach jüngsten Berechnungen das Zahlenverhältnis von Einwohnern über 64 Jahren und Einwohnern zwischen 15 und 64 Jahren fast doppelt so hoch sein wie im Jahr 2000“, so Sinn in dem Magazin.
Das stelle die Politik vor eine schwere Entscheidung: Soll sie ihre Wahl irgendwo zwischen einer „fast verdoppelten Abgabenlast für die Jungen oder fast halbierten Renten für die Alten“ treffen? Sinn schlägt dafür eine Lösung vor, die er für die am wenigsten schmerzhafte hält: Zur Stabilisierung des deutschen Rentensystems würden nur Maßnahmen bleiben, „die Beschäftigte veranlassen, länger zu arbeiten“.
Diskussion um Frührente: Ökonom will Abschaffung von „Fehlanreizen“
Konkret fordert der Ökonom, „Fehlanreize für eine Frühverrentung“ abzuschaffen, also den Abschlag auf die Frührente stark zu erhöhen. Zudem spricht er sich für die automatisierte Erhöhung des Renteneintrittsalters aus, die sich an der Erhöhung des durchschnittlichen Sterbealters orientiert.
„Um den anstehenden Berg der Babyboomer zu bedienen, reicht aber leider auch das nicht. Vielmehr müssen die Babyboomer über die Faustformel hinaus noch länger arbeiten, weil sie selbst zu wenig Kinder großgezogen haben, als dass sich die gewünschten Renten ohne stark steigende Abgabenlasten der Jungen finanzieren ließen“, schreibt Sinn in dem Gastbeitrag. Passend dazu könnte die Politik mit der Erhöhung des Rentenalters das Arbeitsrecht in Bezug auf Altersdiskriminierung ändern.
Auch der Wirtschaftsweise Werding plädiert für höhere Abschläge bei der Frührente
Mit seiner Forderung steht Sinn nicht alleine da. Auch der Ökonom und einer der aktuellen Wirtschaftsweisen, Martin Werding, fordert höhere Abschläge für Arbeitnehmer, die vorzeitig in Rente gehen. Die Freiheit, ab 63 Jahren mit Abschlägen in Rente zu gehen, sei zwar in Ordnung, sagte Werding kürzlich der Funke Mediengruppe. „Abschläge von 3,6 Prozent pro Jahr sind dafür aber zu niedrig. Stattdessen müssten es 5 bis 6 Prozent sein“, schlug er vor.
Gänzlich abschlagsfreie Frührenten für Personen, die gesund sind und normal bis überdurchschnittlich verdienen, passten „angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels überhaupt nicht in die Landschaft“, sagte das Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung weiter.
In Deutschland kann man mit 63 Jahren grundsätzlich in Frührente gehen. Versicherte müssen dafür 35 Jahre Versicherungszeiten bei der Deutschen Rentenversicherung nachweisen – und dann Abschläge akzeptieren. Je Monat, den man vor dem eigenen Renteneintrittsalter in Rente geht, liegt der Abschlag bei 0,3 Prozent – auf ein Jahr gerechnet also bei 3,6 Prozent. Wer 45 Beitragsjahre aufweist, kann sogar ohne Abschläge vorzeitig in Rente gehen. Mit Material der dpa
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