In seiner Weihnachtsvorlesung 2022 hat der ehemalige Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, eine Reform des Euro und eine Rückkehr der Atomkraft gefordert.
Hätte der ehemalige Präsident des Münchner ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, die düsteren Erwartungen an die kommenden Jahre, die er in seiner Weihnachtsvorlesung 2022 zeichnete, nicht mit Lösungsvorschlägen begleitet, Zuhörer hätten ihm Schwarzmalerei unterstellt. Weil er aber Wege aus der Krise mitlieferte, entwarf er das Bild eines Deutschlands, indem die Möglichkeiten mit den großen Herausforderungen schritthalten, aber grundlegende Veränderungen erfordern.
Die vielen unvorhergesehene Ereignisse der vergangenen Jahre, allen voran Corona-Krise und Ukraine-Krieg, hätten die Schwachstellen deutscher Politik schonungslos offengelegt, sagte Sinn. Wolle die Bundesrepublik ihren Einwohnern wieder mehr Grund zu Optimismus geben – zuletzt sank das Vertrauen der Deutschen in die Zukunft auf die niedrigsten Werte seit Ende des Zweiten Weltkriegs –, müsse sie zwei Probleme lösen: die Energiekrise und den Stillstand des Wirtschaftswachstums bei zeitgleicher Inflation, der sogenannten Stagflation. Sinn nannte Auswege aus beiden Problemen.
Inflation, Schuldenexzesse und Milliardenschulden
Der zuletzt von mehreren Experten geäußerte Hoffnung, die Inflation in Deutschland sei bereits überstanden, schloss sich Sinn nicht an. Einerseits litten auch Japan und die USA unter galoppierender Inflation, die Geldentwertung sei also kein rein europäisches Phänomen und habe tiefere Ursachen: Pandemie und Quarantäne blockierten weltweit Lieferketten, Vorprodukte fehlten, das Angebot sank. Gleichzeitig versiebenfachte „Staatsfinanzierung aus der Druckerpresse“, wie Sinn es nennt, die Geldmenge von 2008 bis 2022. Die Nachfrage nach Konsumgütern wuchs bei knappem Angebot „wie noch nie in der Geschichte“. Die Inflation sei die logische Folge.
Nun, da das Streichholz der Pandemie langsam erlischt, werde die Inflation nicht sofort enden. Die Firmen hätten ihre Lager bis an den Rand gefüllt und dadurch die Knappheit verstärkt. Hohe Lohnsteigerungen wie bei der IG-Metall setzten eine Lohn-Preis-Spirale in Gang. Weil durch den demografischen Wandel vielerorts Arbeitskräfte fehlen und das Bürgergeld den Arbeitsanreiz weiter senke, drohe sich das Angebot weiter zu verknappen. Nimmt der Staat dann noch durch Sondervermögen Milliardenschulden auf, um Menschen zu unterstützen, befeuere er die Nachfrage mit frisch gedrucktem Geld weiter. „Das alles spricht für ein fortgesetztes stagflationäres Szenario in diesem Jahrzehnt.“
Euro-Reform, höhere Zinsen und geschärftes Grundgesetz
Wie will Sinn das verhindern? Einerseits müsse die Europäische Zentralbank (EZB) die Staaten durch steigende Zinsen zur Ausgabenkontrolle zwingen. Derzeit tue sie dies zu zaghaft und habe die Kontrolle über die Inflation lange nicht wiedergewonnen: „Die Schuldenexzesse der Staaten kommen erst noch und setzen sich fort.“
Sinn will das durch eine grundlegende Reform des Euro-Systems ändern: „Das ist nicht der Euro, wie wir ihn uns vorgestellt haben.“ Damit die Preisstabilität wieder oberstes Euro-Ziel wird, müssten Stimmrechte im EZB-Rat nach Landesgröße vergeben werden. Montenegro mit genauso viel Stimmrechten wie die Bundesrepublik? „Das geht so nicht.“
Intern müsse Deutschland das Grundgesetz nachschärfen, um den Regeln eigentlich widersprechendes, rechtlich aber gerade noch akzeptables Verhalten auszuschließen. Sinn nennt als Beispiel Milliardenschulden, die als Sondervermögen getarnt werden.
„Das ist absoluter Unsinn“
Befeuert werde die Inflation durch Probleme bei der grünen Energiewende. „Das Klimaproblem ist eine Geißel der Menschheit“, stellte Sinn klar. Er begrüße, dass sich junge Menschen dessen annehmen und durch die Emotionalisierung der Debatte verhindern, dass die Welt die Entwicklung geschehen lässt.
So nützlich Fridays For Future seien, so problematisch seien aber die Auswüchse einer Klimabewegung, der der kühle Kopf fehle: „Es ist eine übersteigerte Bewegung geworden, wo man Realität und Fiktion nicht mehr so ganz auseinanderhält.“ Leute, die sich auf die Straße kleben, weil sie glauben, die Welt verpuffe in drei Jahren – „das ist absoluter Unsinn“.
Sinn fordert Verantwortungsethik statt Gesinnungsethik, kluge, abwägende rationale Politik, „ohne dabei alles kaputt zu machen und Träumen hinterherzurennen“.
Grüne Flatterenergie, Atomkraft und die Krise des produzierenden Gewerbes
Dass auch Klima-Kleber rationale Politik fordern, nur eben aus ihrer Sicht, weiß Sinn wohl und erklärt daher, was er konkret meint: Die Folgen des Ukraine-Kriegs hätten gezeigt, dass „grüne Flatterenergie“ andere Kraftwerke braucht, um Dunkelflauten auszugleichen. Wegen des Doppelausstiegs aus Kohle- und Atomstrom bleibe Gas die einzige Option Deutschlands. „Damit ist die grüne Energiewende ein Scherbenhaufen. Das funktioniert überhaupt nicht.“
Energiehilfen könnten dies kurzfristig kaschieren. Langfristig fehle jedoch eine Lösung – vor allem, weil sich der Stromverbrauch vervier- oder verfünffachen dürfte, wenn die chemische Industrie auf Gas verzichten soll und die Menschen in Deutschland ihre Autos elektrisch fahren sowie ihre Häuser elektrisch heizen wollen. „Dann brauchen wir auch vier- bis fünfmal so viel konventionelle Kraftwerkskapazität.“ Die „grüne Bewegung“ blende dieses für sie „sehr, sehr peinliche Thema“ gerne aus, komme aber auch mit Wunschdenken nicht daran vorbei.
Damit Deutschland kurzfristig überlebt, braucht das Land laut Sinn:
- neue Gas-Pipelines nach Norwegen, Großbritannien, Algerien und Israel,
- wesentlich mehr Gasspeicher und eine nationale Sicherheitsreserve,
- Flüssiggas aus Übersee, und
- Fracking in Deutschland.
- Die sofortige Aufhebung der Kohle- und Atomverbote. Motto: Erst grüne Technik aufbauen, dann alte Technik abschalten.
Überleben, bis bessere Technologien funktionieren
Dass Deutschland die Energiekrise auch mit mehr Speicherkapazitäten und neuen Technologien wie Kernfusion lösen könnte, sieht Sinn auch. Diese seien aber frühestens in einem Jahrzehnt ausreichend verfügbar. Bis dahin müsse Deutschland überleben und daher pragmatische Entscheidungen treffen.
Daran ändere auch Politik nichts, die der Bundesrepublik schade, ohne den Klimawandel zu bekämpfen. Beispiel Verbrenner-Aus: Das zerstöre die Vorteile deutscher Autobauer, die wegen ihrer umfangreichen Metallindustrie Verbrenner besser fertigen könnten, als alle anderen Hersteller. E-Autos mit vielen Spielereien könnten Chinesen und Amerikaner besser bauen. Das verarbeitende Gewerbe entwickele sich wegen des selbstverschuldeten Problems der wichtigsten deutschen Industrie bereits schwach. Sinn fragt: „Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas?“
Besser bekämpfe die Welt den Klimawandel, indem sie einen Klimaclub der großen Länder gründet. Derzeitige Klimakonferenzen seien zu Schadensersatz-Runden verkommen, statt das eigentliche Problem zu lösen.
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