Tiroler Tageszeitung, 24. April 2022, Nr. 112, S. 6.
Eine Zeit lang wurde von den Zentralbanken gesagt, die Teuerungen seien nur vorübergehend. Jetzt sieht es aber so aus, als ob die Inflation gekommen ist, um zu bleiben. Gleichzeitig wäre es der Job der EZB, für Preisstabilisierung zu sorgen. Wie soll das weitergehen?
Die EZB hat bereits im November 2021 gesagt, dass der Höhepunkt erreicht sei. Tatsächlich ist es aber so, dass die Inflation nicht gestoppt wurde. Im Euroraum haben wir eine Teuerung von über sieben Prozent erreicht. Das Feuer der Inflation ist noch lange nicht gelöscht.
Die EZB tut sich schwer zu handeln. Geht sie zu wenig kräftig gegen die Inflation vor?
Wenn man es wieder auf das Bild des Feuers bezieht, muss man sagen, dass sich die Feuerwehrleute zu wenig bemühen, das Feuer zu löschen. Das ist eine beklagenswerte, aber korrekte Diagnose. Dazu kommt, dass die EZB selbst die Lage durch eigene Aktionen mitbefeuert hat. Ihr Job wäre es, die Inflation bedingungslos zu bekämpfen. Stattdessen hat die EZB eine Mitschuld an der exzessiven Staatsverschuldung vieler EU-Länder. Die Schuldenquoten sind gestiegen, weil man u. a. den Maastricht-Vertrag nicht ernst nimmt. Es gibt zu viele Tricks, sich zu verschulden, ohne dass es als Staatsschulden berechnet wird. Mit dieser Verschuldungspolitik wird der Inflationsdruck weiter verstärkt ...
... mehrfach verstärkt durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg?
Die Pandemie war das Zündholz, sie trieb auch die Energieverknappung. Jetzt ist es so, dass es Ansteckungseffekte gibt. Die Firmen beginnen die Preise zu erhöhen und horten Vorprodukte. Das vergrö-
ßert die Verknappung. Mittlerweile spielen viele Dinge eine Rolle für Inflationsschübe.
Auf die einfachen BürgerInnen heruntergebrochen: Heißt das weniger Kaufkraft, werden wir alle ärmer?
Die Inflation lässt Realeinkommen, Pensionen und Sozialleistungen erodieren. Ein Teil wird mit Neuverhandlungen der Löhne ausgeglichen werden. Aber damit lässt sich nicht alles wettmachen, außerdem verlieren die Menschen reales Einkommen, bis es zu Lohnanpassungen kommt. Gleichzeitig
führen erhöhte Löhne wiederum bei den Firmen zu Mehrkosten, die diese kompensieren durch Preissteigerungen. Fakt ist, dass sich der Wohlstand nicht wie gewohnt entwickeln wird. Sparguthaben und
Lebensversicherungsverträge werden entwertet. Preisanstiege bedeuten Verluste. Es werden auch langfristige Festzins-Kreditverträge schwierig – wenn die Inflation zunimmt, wird jeder zögern, weil weder
der Gläubiger noch der Schuldner weiß, worauf er sich da einlässt. Einige werden reicher, andere werden ärmer werden. Aufgrund der Inflation wird es zu einer Umverteilung kommen.
Was macht Sie sicher, dass es dieser Entwicklung kommen wird?
Diese Aussage ist zwar in einem bestimmten Sinne theoretisch angelegt, gleichzeitig lässt sie sich mit einem Blick auf die Vergangenheit auch empirisch belegen.
Sie spielen auf die Hyperinflation in Deutschland und Österreich vor rund 100 Jahren an. Muss man davor Angst haben?
Hoffen wir nicht, dass sie wieder eintritt. Damals war es so, dass die Mittelklasse aufgrund der Inflation verarmte. Jener Teil der Gesellschaft, der den Staat trug, wurde ins Elend getrieben und hatte keine Chance, sich Realvermögen aufzubauen. Wenn Sie bei Stefan Zweig nachlesen, schreibt er, dass nichts
das deutsche Volk so hasswütig und hitlerreif gemacht hat wie die Inflation. So gesehen ist die Gefahr einer Inflation für eine Gesellschaft nicht zu unterschätzen.
Aktuell ist die EZB zögerlich bei den Zinsen. In Österreich wird eine Abschaffung der kalten Progression angekündigt. Wie wichtig wäre dieser Schritt?
Durch die kalte Progression wächst das Staatsbudget schneller, als es die Einkommen der Menschen tun. Das Steuersystem basiert auf der Idee, dass die Preise gleich bleiben. Das ist jetzt aber nicht so, deshalb muss man das auf Räder stellen und ändern.
Das Interview führte Liane Pilcher.
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