Wenn unsere Klimapolitik Vorbild ist, dann ein abschreckendes

Christian Ortner, Die Presse, 3. März 2023, S. 31.

Warum das Gerede, Deutschland und Österreich müssten „Vorbildfunktion“ im Kampf gegen den Klimawandel haben, ein völliger Nonsens ist.

Hans-Werner Sinn, einer der besten Ökonomen Deutschlands, hat als einer von ganz wenigen Wirtschaftsexperten schon ein Jahr vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs prophezeit, dass wir uns auf eine Phase hoher Inflation zubewegen. Weder die dafür von Amts wegen zuständige Europäische Zentralbank noch die den Diskurs bis heute dominierenden Anhänger von noch mehr Gelddrucken und Schulden glaubten ihm; leider behielt er recht.

Deshalb könnte es vernünftig sein, Sinns jüngste Warnungen vor den Folgen einer überschießenden Klimapolitik vor allem in Europa, aber letztlich in ganz Europa, etwas ernster zu nehmen als seine Inflationsprognosen.

„Deutschland ist dabei, durch seine extremistische Klimapolitik die eigene Industrie zu ruinieren“, meinte er jüngst in einem Interview. Deutschland habe „keine Chance“, das Ziel der Berliner Regierung zu erreichen, bis 2045 komplett aus der fossilen Energie auszusteigen. Trotzdem werde „eine ganze Volkswirtschaft zum Versuchskaninchen für alternative Technologien gemacht“.

Nicht zum ersten Mal, aber ohne spürbares Echo weist Sinn auch auf ein Paradoxon des Klimaschutzes hin, das die Klimakleber regelmäßig ignorieren: dass nämlich Öl und Gas, das in Europa eingespart wird, deswegen nicht im Boden bleibt, sondern aufgrund des dann sinkenden Preises in anderen Kontinenten verbrannt wird: „Alleingänge bedeuten lediglich, dass andere Teile der Welt exakt so viel mehr Öl kaufen und CO2 emittieren, wie wir einsparen.“

Es ist dies genau der Punkt, an dem Diskussionen mit Verfechtern eines Klimaschutzzes um jeden Preis – und sei es die Deindustrialisierung weiter Teile Europas – besonders mühsam werden. Denn es hat wirklich keinen Sinn, wenn wir in Deutschland oder Österreich, global zusammen für weniger als drei Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, mit astronomischem Aufwand unseren Schadstoff-Output reduzieren, obwohl das nur dazu führt, dass die wirklich bösen Klimakiller-Nationen wie China es dann eben noch mehr qualmen lassen, weil dort gerade wieder riesige Kohlekraftwerke im Wochentakt errichtet werden. An diesem Punkt kommt immer das Argument, dies sei zwar mathematisch richtig, aber Staaten wir Deutschland oder Österreich komme eben eine „Vorbildfunktion“ zu.

Das Blöde daran ist: Es gibt nicht den allerkleinsten belastbaren Hinweis darauf, dass sich irgendeine diesbezüglich relevante Nation in der Realität „Deutschland zum Vorbild“ nimmt. Alle diesbezüglichen Behauptungen sind frei erfunden und so substanzvoll wie die Annahme, im Inneren der Erde lebten Reptilienmenschen, die unsere Politik steuern. „Das Gerede von der Vorbildfunktion und den Wettbewerbsvorteilen, die wir durch diese Politik angeblich generieren, ist Propaganda“, sagt auch Sinn und hat völlig recht.

Tatsächlich ist der Westen Europas der einzige Flecken, auf diesem Planeten, wo Regierungen gezielt durch eine weit überzogene Klimapolitik – Stichwort „Verbrennerverbot“ – ihre industriellen Herzen zum Erkalten bringen. Und damit bewirken, dass sich diese Industrie Schritt für Schritt verabschiedet und woanders ihre Zelte und Forschungslabors aufbaut. Wie etwa die innovativen deutschen Entwickler des Corona-Impfstoffs, die nach Großbritannien gehen. Oder der VW-Konzern, der erst dieser Tage angekündigt hat: „Wir werden keine neuen Fabriken für E-Autos in Europa bauen.“ Runde 1,5 Millionen Jobs in der europäischen Autoindustrie werden dem staatlich erzwungenen Verbrennerverbot zum Opfer fallen, schätzt Ford-CEO Jim Farley.

Es ist eine von Hybris, maßloser Selbstüberschätzung moralischem Furor und einer außerordentlichen Anmaßung geprägte Haltung vieler Europäer, vor allem aber Deutscher, zu meinen, für irgendjemanden ein Vorbild zu sein. Wenn, höchstens ein abschreckendes angesichts der Selbstmarginalisierung, die Europa unter deutscher Führung betreibt.

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