Wenn Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des Münchner ifo-Instituts, zum Vortrag lädt, ist der Saal voll. So auch am Montagabend, als der schon einmal als einflussreichster Ökonom Deutschlands gefeierte 71-Jährige im Audimax der Münchner Universität das Wort zu einer Weihnachtsvorlesung ergriff. Sehr weihnachtlich und hoffnungsfroh wurde es nicht, aber das ist man von ihm ja gewohnt. Aber es gab auch forsche Thesen. Europa solle den Amazonas kaufen, war eine davon.
„Wie wir das Klima retten und wie nicht“, hatte Sinn seine Ausführungen betitelt. Wie es unsere Politiker und der gesellschaftliche Mainstream anstellen, so die Kernthese Sinns, wird es nicht funktionieren. Im Gegenteil: Womöglich wird umso mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen, gerade weil wir in Europa
und besonders in Deutschland massiv fossile Brennstoffe sparen (wollen). Das „grüne Paradoxon“ nennt Sinn dieses Phänomen und es funktioniert so: Die Ölscheichs und andere, die vom Erdölexport leben, fürchten, dass es in Europa und anderswo vielleicht doch einmal ernst werden könnte mit der Klimaneutralität
und befürchten auch, eines nicht allzu fernen Tages auf ihren Erdöl- und Erdgas-Reserven sitzenzubleiben. Also verstärken sie ihre Bemühungen, so lange es geht noch gutes Geld für die fossilen Energieträger herauszuholen.
Je mehr etwa die Europäer Öl und Gas einsparen, umso billiger werden diese Energien auf dem Weltmarkt und umso mehr wird verbrannt, so die These des ehemaligen Ifo-Chefs. Im Ergebnis sei der Umwelt durch die so verstandene Klimaschutzpolitik überhaupt nicht gedient. Weniger Verbrauch bedeute eben gerade nicht weniger Produktion. Das könne man sogar an der keineswegs sinkenden Erdölförderung Norwegens ablesen.
Sinn glaubt, seine These vom grünen Paradoxon auch beweisen zu können, nämlich anhand der Entwicklung des weltweiten CO2-Ausstoßes. Seit 50 Jahren flache der nur bei Wirtschaftskrisen ab, nicht aber nach Meilensteinen des Klimaschutzes wie etwa dem Kyoto-Protokoll oder dem Pariser Klimaschutzabkommen. Angenommen, Deutschland schaffe es, seinen zweiprozentigen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß auf null zu bringen, sei nichts erreicht, so die These des Ökonomieprofessors.
Ernüchterndes, aber auch Umstrittenes hatte Sinn auch in Sachen Strom vorzutragen. Wie es funktionieren sollte,
Atom- und Kohlekraftwerke abzuschalten und dann auch noch den steigenden Bedarf der Elektromobilität zu befriedigen, verwies er in dasReich der politischen Märchen.
Wenn Deutschland wie vorgesehen bis 2050 klimaneutral werden wolle, benötige man die fünffache Kapazität an Wind- und Solarstrom. „Eine Verschönerung der Landschaft wird das nicht“, meinte Sinn. Zusätzlich müssten praktisch alle konventionellen Kraftwerke für den Fall einer „Dunkelflaute“ (keine Sonne, kein Wind) vorgehalten werden. Die möglichen Technologien zum Speichern von erneuerbaren Energien seien allesamt viel zu teuer und viel zu ineffizient, kurzum: „pure Illusion“.
Etwa zehn Jahre, schätzt Sinn, werden noch ins Land gehen, bevor man in Deutschland auf die Kernenergie zurückkommt. Immerhin gebe es inzwischen sichere Technologien. Deutschland könnte dem Beispiel Schwedens folgen, das früher zwar einmal die Abschaltung seiner zehn Atommeiler beschlossen, diesen Beschluss aber nie umgesetzt habe.
Ein Aufsatz Sinns über den Un-Sinn von Elektroautos beim derzeitigen Strommix wurde bereits heftig angegriffen, doch der Autor bleibt dabei: Die gute Umweltbilanz eines sauberen Diesel könne ein Elektroauto praktisch über seine gesamte Lebenszeit hinweg nicht einholen. „Das einzige, was wirklich gut ist, ist das Erdgasauto“, sagte Sinn, aber das sei offenbar nicht so schön und ambitioniert.
In die vollkommene klimapolitische Hoffnungslosigkeit wollte Sinn seine Zuhörer dann aber doch nicht entlassen. Die Lösung, meinte Sinn, wäre ein weltweiter Emissionshandel. Um diesen in Gang zu setzen, sollte ein „Climate Club“ möglichst vieler wirtschaftlich potenter Länder, „die es ernst meinen“, gebildet werden, die andere Länder, die sich am Emissionshandel nicht beteiligen, gnadenlos diskriminieren: „Ich wüsste sonst nicht, wie man es erreichen könnte.“ Diese Lösung sei ja auf dem jüngsten Klimagipfel in Madrid ernsthaft diskutiert worden.
Und dann hatte Sinn noch einen ungewöhnlichen Vorschlag zur Klimaverbesserung: Die EU sollte die Amazonas-Wälder in Südamerika kaufen und unter das Protektorat der Vereinten Nationen stellen, so dass dort keine Abholzungen und Brandrodungen mehr stattfinden. Sinn hat schon ausgerechnet, was das kosten würde: 225 Milliarden Euro. Das sei durchaus machbar, zumal die Deutschen dann darauf verzichten könnten, sich selbst zu schädigen.