Top-Ökonom Sinn geht auf Habeck los: „Man muss Schlimmes befürchten“

Amy Walker, Münchner Merkur online, 1. August 2023.

Der Top-Ökonom Hans-Werner Sinn wendet sich gegen die Energiepolitik der Bundesregierung, das Heizungsgesetz und das Verbrennerverbot. Die Maßnahmen seien „unnütz“.

Berlin – Hans-Werner Sinn war fast zwei Jahrzehnte lang einer der führenden Stimmen der Wirtschaftspolitik. Als Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung von 1999 bis 2016 widmete er sich den wichtigsten wirtschaftlichen Themen unserer Zeit, darunter die Wiedervereinigung, die Eurokrise sowie die Folgen des Klimawandels.

Sinn macht auch keinen Hehl draus, dass er mit der aktuellen Klima- und Energiepolitik der Bundesregierung unzufrieden ist. In einem Gastbeitrag auf Merkur.de sagte er erst vor Kurzem, dass das Verbrennerverbot der EU „klimapolitisch sinnlos“ sei. Und auch gegen den Heizungstausch sprach er sich in dem Beitrag aus.

Sinn: Verbrenner-Verbot beschleunigt den Klimawandel

In einem neuen Interview mit der Bild-Zeitung setzt Sinn jetzt noch einen drauf. „Diese Maßnahmen sind unnütz. Sie ruinieren unsere Automobilindustrie, senken unseren Lebensstandard und subventionieren andere Länder, allen voran China“, sagte er im Hinblick auf Verbrenner-Aus und Heizungsgesetz. Solche Maßnahmen würden nicht nur wenig bringen – sie beschleunigen sogar den Klimawandel noch weiter, so sein Argument. „Wenn wir Öl nicht mehr kaufen, fällt der Weltmarktpreis, und andere kaufen es.“

Ziel müsse es daher sein, gemeinsam mit den USA und China einen „Klimaklub“ zu gründen, damit alle gemeinsam aufs Öl verzichten – und so eine Drosselung der Öl-Förderung herbei gezwungen würde.

Sinn: Mit „grünem Flatterstrom“ allein schaffen wir die Energiewende nicht

Auch die Ziele der Bundesregierung zum Ausbau der erneuerbaren Energien hält der Ökonom für unerreichbar. „Wind- und Sonnenstrom werden uns nicht alleine versorgen. Die Quellen sind nicht regelbar und das Wetter ist unstetig. In Dunkelflauten müssen regelbare Kraftwerke in der Lage sein, den gesamten Verbrauch Deutschlands zu decken“, sagt er der Bild.

Durch Verbrennerverbot und Heizungsgesetz würde sogar noch mehr Kohle verbrannt, als zuvor. „Da der grüne Flatterstrom es vorläufig nicht schafft und die Atomkraftwerke abgestellt sind, bedeuten mehr E-Autos mehr Braunkohleförderung und befördern Kohlenstoff in die Luft, der eigentlich versiegelt werden sollte.“

Das Gleiche gelte für Wärmepumpen, die vom Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bevorzugt werden und deren Einsatz massiv gefördert werden soll. „Der Ersatz der Ölheizungen durch Wärmepumpen kostet bei Altbauten Unsummen Geld, das Öl wird anderswo verbrannt, und der Mehrverbrauch an Strom veranlasst die Kraftwerke, mehr Braunkohle zu verbrennen. Also auch hier mehr CO₂-Ausstoß und mehr Klimawandel als Folge einer unbedachten Politik.“

Wirtschaft steckt in einer Flaute fest

Aus Sicht von Hans-Werner Sinn wird die Energiepolitik der Ampel-Koalition zu einem Abwandern vieler Unternehmen führen. „Die Energiepolitik Deutschlands ist so wenig durchdacht, dass man für die Industrie Schlimmes befürchten muss“, sagt er. Der Strompreis sei hierzulande so teuer, dass sich Firmen den Standort Deutschland nicht mehr leisten könnten. Wenn noch mehr Strom im Gebäude- und Verkehrssektor gebraucht werden, verschärfe das die Lage nur noch weiter. „Leider ist das schlecht für die grüne Bewegung, denn wir zeigen anderen Ländern, wie falsch man Klimapolitik gestalten kann.“

Auch andere führende Wirtschaftswissenschaftler schlagen angesichts der trüben Konjunkturprognosen Alarm. Laut aktuellem IWF-Wachstumsausblick ist die deutsche Volkswirtschaft die einzige unter den 22 untersuchten Ländern und Regionen, in der das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr zurückgehen soll, um 0,3 Prozent.

So kritisierte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, im Interview mit der dpa: „Es geht längst nicht nur um Geld: Wir machen keine Fortschritte beim Bürokratieabbau. Wir machen keine Fortschritte beim Thema Genehmigungsbeschleunigungen.“ Auch Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, forderte ein stärkeres Gegensteuern der Politik. „Was vor uns liegt, ist sehr herausfordernd. Wenn jetzt nicht gehandelt und gegengesteuert wird - besonders im Baubereich -, dann droht eine lange Zeit der wirtschaftlichen Schwierigkeiten.“

Industriestrompreis gefordert – Lindner blockt ab

Seit Wochen fordert deshalb Wirtschaftsminister Habeck einen Brückenstrompreis für die Industrie. Aktuell ist es Finanzminister Christian Lindner (FDP), der das Vorhaben blockiert – ihm ist ein Industriestrompreis zu teuer. Lindner will stattdessen mit einem „Wirtschaftschancengesetz“ auf Steuersenkungen und eine Investitionsprämie für Unternehmen setzen.

Für Russwurm ist diese Einstellung angesichts der ernsten Lage unverständlich. Die Antwort auf die kriselnde Wirtschaft müsse aus der Politik kommen. „Wenn die Antwort der Bundesregierung dann heißt, wir stellen dafür kein zusätzliches Geld in den Haushalt ein, muss sie die Zielkonflikte innerhalb der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien lösen und klären, ob und wie sie die richtigen Prioritäten setzt.“

Nachzulesen auf www.merkur.de.