Sinn und „Die Familienunternehmer“ gehen zur Euro-Politik der Bundesregierung auf Distanz
München. Mit der Ausweitung der Euro-Rettungsschirme, ist nach Auffassung des Präsidenten des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn die Situation „überhaupt nicht berei-nigt“, sondern nur eine „trügerische Ruhe“ hergestellt worden. Die grundsätzlichen Konstruktionsfehler des Euro-Systems würden in spätestens zwei bis drei Jahren zu neuen Krisen führen, sagte Sinn am Frei-tag in München.
Durch den ausdrücklichen Beitritt zur „Bogenberger Erklärung“ des ifo-Instituts unterstützt erstmals ein großer Wirtschaftsverband die kritische Position zur gegenwärtigen Politik der Euro-Rettung. Darstellungen, wonach „die Wirtschaft“ den politischen Kurs in der Euro-Politik unterstütze, träfen so nicht zu, sagte Michael Moritz vom Verband der „Familienunternehmer“ (vormals ASU): „Das mag für Handels-kammer-Bürokraten gelten, aber für die Familienunternehmer ist das nicht der Fall“.
Er habe große Sorge, dass „das ganze System in Gefahr ist“, sagte Manfred Wittenstein, Inhaber des Maschinenbauers Wittenstein AG in Igersheim (Main-Tauber-Kreis), der 2011 zum „Entrepeneur des Jahres“ gewählt wurde. Die Politiker Europas müssten entschlossener und schneller handeln, um wach-sende Arbeitslosigkeit zu verhindern.
Der Verband mit seinen nach eigenen Angaben 180 000 Mitgliedern schließt sich der Sichtweise Sinns an, wonach nur riesige Geldbeträge „ins Schaufenster“ gestellt werden müssten „und dann ist alles wieder gut“ (Sinn). Vielmehr sei zu befürchten, dass die „Fass-ohne-Boden“-Theorie zutreffe, der zufolge die Stützungsmaßnahmen so lange weitergehen werden, bis „die Retter kein Geld mehr haben“. Deutschland werde gerade wegen seiner Rolle als Haupt-Retter immer erpressbarer, weil es mit wachsenden Rettungs-summen immer unwahrscheinlicher werde, jemals die Milliarden zurückzubekommen. „Wir werden immer mehr Gefangene unserer Rettungsmaßnahmen“, sagte Sinn.
Konkret fordern der ifo-Präsident und der Verband der Familienunternehmen eine andere Besetzung des Führungsgremiums der Europäischen Zentralbank (EZB). Im EZB-Rat verfüge der „Club Med unter Führung Frankreichs“ über 70 Prozent der Stimmrechte, sagte Sinn: „Diese Asymmetrie führt zur Selbstbedienung“. Nirgendwo in der freien Wirtschaft würde akzeptiert, wenn bei einem Unternehmen Haftung, Kapitaleinsatz und Stimmrechte nicht im Einklang stünden wie das bei der EZB der Fall sei, sagte Moritz. Von der Bundesbank bestätigt sieht sich Sinn in seinen Warnungen vor den wachsenden sogenannten „Target-Salden“. Dabei handelt es sich um Ausgleichsforderungen der Deutschen Bundesbank gegenüber den Notenbanken anderer Euro-Länder, die ihre Leistungsdefizite durch Gelddrucken ausgleichen. Derzeit lägen die Target-Forderungen Deutschlands bei 547 Milliarden Euro. Sollten einzelne Länder wie Griechenland aus dem Euro austreten, trage Deutschland zusammen mit den anderen Ländern die Ab-schreibungsverluste aus den Target-Krediten. Sollte der Euro ganz zusammenbrechen, „hat Deutschland eine Forderung gegen ein System, das es nicht mehr gibt“, warnte Sinn erneut.
Dem Fiskalpakt traut Sinn nicht zu, tatsächlich mehr Haushaltsdisziplin in den Euro-Ländern herzustellen. Es handele sich lediglich um einen „intergouvernementalen Vertrag“, der das EU-Recht nicht breche. Um ein Verfahren gegen einen Haushaltssünder einzuleiten, sei weiterhin eine qualifizierte Mehrheit erforderlich.