Ab heute wird Shoppen billiger: Die Mehrwertsteuer sinkt von 19 auf 16 Prozent. Das "Geschenk" der Bundesregierung dürfte die Inflation in Deutschland deutlich nach unten drücken. Rein rechnerisch droht eine Deflation. Das klingt gefährlich, ist es aber nicht.
Gespannt blicken die Bundesamtstatistiker und Ökonomen auf den Einzelhandel. Gibt er die ab heute geltende Mehrwertsteuersenkung an die Verbraucher weiter, könnten die Inflationsdaten kurzfristig heftig ausschlagen - nach unten wohlgemerkt. Rein rechnerisch würde die Maßnahme einen Rückgang der Verbraucherpreise um 1,6 Prozent verursachen, hat das Statistische Bundesamt ermittelt.
Negative Inflation im Juni?
Damit würde die Teuerungsrate deutlich ins Minus rutschen. So prognostiziert Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank, eine negative Inflationsrate von 1,0 Prozent im Juli. Auch Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, erwartet eine Inflation von minus 0,8 Prozent im laufenden Monat.
Sollten der Einzelhandel, die Gastronomie, das Handwerk und andere Branchen die Mehrwertsteuer-Reduzierung komplett an die Kunden durchreichen, könnten die Verbraucherpreise im gesamten zweiten Halbjahr um gut ein Prozent fallen, schreibt die Tageszeitung "Die Welt". Das heißt: Deutschland würde in die Deflation rutschen.
Droht uns das Schicksal von Griechenland oder Japan?
Deflation - das ist das schlimmste Gespenst, vor dem Ökonomen immer wieder warnen. Sie gilt als Gift für die Wirtschaft, weil sich Verbraucher und Unternehmen in Erwartung günstigerer Preise mit Käufen und Investitionen zurückhalten. Das lähmt die Wirtschaft. Deflationserfahrungen machte zuletzt Griechenland. Das Land steckte von 2013 bis 2016 in einer Abwärtsspirale aus sinkenden Löhnen, Investitionen und Konsumzurückhaltung.
Besonders Japan litt in den 1990er Jahren unter einer Deflation. Diese Zeit wird auch als "verlorene Dekade" bezeichnet. Die letzte globale Deflation gab es in der Zeit der "Großen Depression" in den frühen 1930er Jahren.
Die Corona-Krise hat die Deflationsdebatte neu entfacht. "Die Gefahr einer Deflation, also fallender Preise, scheint mir erheblich größer als die Gefahr einer Inflation", warnte unlängst Peter Bofinger, der bis 2019 im Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen saß.
"Keine echte Deflation!"
Tatsächlich wäre ein Rückgang der Verbraucherpreise in Deutschland aufgrund der Mehrwertsteuersenkung nur eine Art "künstliche Deflation". Darauf weisen mehrere Ökonomen hin. "Mit echter Deflation hat das nichts zu tun", erklärt Volkswirt Schmieding. Die Befürchtung, dass sich bei rückläufigen Preisen die Verbraucher mit Käufen zurückhalten und auf noch niedrigere Preise warten, sei hier völlig unbegründet.
Zudem gibt es Zweifel, ob die Steuersenkung rasch an die Verbraucher weitergegeben wird. Die Bundesbank geht eher von einer "moderaten und verzögerten Überwälzung" aus.
Auswirkungen auf Inflation in der Eurozone
Doch auch dann wird das Steuergeschenk aus Berlin die Inflationsdaten hierzulande und sogar in Europa kräftig durcheinanderwirbeln. Oliver Rakau, Deutschland-Chefvolkswirt der Denkfabrik Oxford Economics, rechnet für 2020 nur noch mit einer Inflationsrate von 0,6 Prozent. Die meisten Ökonomen gehen bisher von einer Teuerungsrate von 1,0 Prozent aus. Im Juni lag die Inflation bei 0,9 Prozent, im Mai bei 0,6 Prozent.
Wegen der deutschen Sonderwegs dürfte die Inflationsrate in der gesamten Eurozone in der zweiten Jahreshälfte um 0,3 Prozentpunkte sinken, glaubt Berenberg-Chefvolkswirt Schmieding. Dadurch entfernt sich die Europäische Zentralbank immer mehr von ihrem Inflationsziel von zwei Prozent.
2021 dürfte Inflation wieder massiv zunehmen
Aber schon 2021 könnte eine gegenläufige Bewegung eintreten. Wenn die Mehrwertsteuersenkung Anfang des kommenden Jahres ausläuft, dürfte die Inflation wieder nach oben schießen. Rakau prophezeit für 2021 eine Teuerungsrate von zwei Prozent. Muss dann die EZB gegensteuern? Vermutlich nicht. Sie werde wohl Schwankungen bei der Inflation ignorieren und unterstreichen, dass sie sich auf die längere Frist konzentriert, mutmaßt ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski.
Wann kommt die große Inflation?
Langfristig könnte freilich die Inflationsgefahr wieder steigen, warnen Experten. Die historisch einmalige Geldschwemme der Notenbanken und die noch tiefer gesunkenen Zinsen werden die Inflation irgendwann deutlich anheizen, sagen sie. Und verweisen auf die Geschichte. "Historisch gesehen haben hohe Schuldenlasten für Regierungen Anreize geschaffen, eine höhere Inflation zu erzeugen, um den Schuldenwert zu reduzieren", weiß Andrew Wilson von Goldman Sachs Asset Management. Der Ökonom Peter Bernholz zeigte bereits 2003, dass allen 29 bekannten Hyperinflationen der Wirtschaftsgeschichte ein hohes Haushaltsdefizit vorausging, finanziert durch Geldschöpfung. Der ehemalige ifo-Präsident Hans-Werner Sinn fühlt sich schon an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erinnert, als man eine kaputte Wirtschaft hatte, die Spanische Grippe kam und Deutschland versuchte, sich mit frisch gedrucktem Geld zu retten. Das alles führte zu einer galoppierenden Inflation und schließlich zur Hyperinflation 1923, die bis heute ein deutsches Trauma bleibt.
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