Das Interview mit dem Präsidenten des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, hat folgenden Wortlaut:
Herr Prof. Sinn, trotz hoher Staatsschulden und sinkender Einnahmen versprechen Union und FDP, Steuern zu senken. Was halten Sie davon?
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir ein weiteres Konjunkturprogramm brauchen, weil die wirtschaftliche Flaute uns erst im Herbst und im nächsten Jahr voll erwischen wird – auch und vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Ausgabenerhöhungen oder Steuersenkungen.
Was bevorzugen Sie?
Beides ist möglich. Ausgaben für die Infrastruktur wirken direkter. Steuersenkungen wirken breiter, und der Bürger entscheidet selbst, was er dafür kaufen will.
Die Zentralbanken flankieren die Konjunkturprogramme mit einer Politik des billigen Geldes. Wie lange können wir uns eine laxe Geldpolitik leisten?
Wir müssen sie uns solange leisten, bis die Wirtschaft wieder anzieht. Da gibt es keine Alternative. Wir müssen auch das steigende staatliche Budgetdefizit akzeptieren, um über die Krise hinwegzukommen. Dies ist nun wirklich die größte Krise seit der großen Weltwirtschaftskrise, die zur Machtergreifung Hitlers führte. Da dürfen wir jetzt nicht den Fehler machen, das Staatsbudget mitten in der Krise konsolidieren zu wollen. Nach der Krise müssen wir das dann aber umso beherzter tun. Dann sind entweder Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen erforderlich.
Die Politik mischt sich immer stärker in die Wirtschaft ein, siehe Opel. Was halten Sie von dieser Form der Staatswirtschaft?
Diesen Weg in die Staatswirtschaft halte ich für verfehlt, mit gewissen Ausnahmen bei den Banken. Was bei Opel gemacht wurde, war falsch. Man hätte Opel in die Insolvenz gehen lassen müssen. Dann hätte die Möglichkeit bestanden, die Schulden des Unternehmens loszuwerden, frisches Kapital zu beschaffen und neu zu starten. Eine Insolvenz ist die Methode, das Unternehmen und die Arbeitsplätze zu retten. Was jetzt geschieht, läuft darauf hinaus, vor allem die Gläubiger von Opel zu retten.
Der Staat ist also mit Einzeleingriffen ins Marktgeschehen überfordert?
Richtig. Denn immer dann, wenn er eingreift, lässt er sich von dem Medienrummel lenken, den die betroffenen Unternehmen veranstalten. Das Geld fließt dann dahin, wo am lautesten geschrien wird, aber nicht dahin, wo es die meisten Arbeitsplätze schafft.
Gibt es weitere Risiken und Nebenwirkungen allzu großer staatlicher Hilfsbereitschaft?
Solche Eingriffe in den Markt verzögern den Strukturwandel in der Wirtschaft. Dieser Wandel vollzieht sich immer nur in der Krise und ist unabdingbar. Ohne Strukturwandel hätten wir die wirtschaftlichen Fortschritte der letzten 150 Jahre nicht gehabt. Dann wären immer noch zwei Drittel der Deutschen in der Landwirtschaft beschäftigt. Aktuell sind wir aber in einer Ausnahmesituation. Die Krise ist derartig groß, dass der Staat trotz aller Risiken einschreiten muss. Wichtig ist freilich, dass dies flächendeckend geschieht und nicht einzelne Unternehmen herausgepickt werden.
Große Sorgen bereitet unverändert die Finanzwirtschaft. Wie dramatisch ist die Situation?
Die Lage ist sehr ernst, da die Banken bereits sehr viel Eigenkapital verloren haben und vermutlich noch viel mehr verlieren werden. In ihren Büchern stehen noch viele Wertpapiere, die überbewertet sind. Die Banken wissen das natürlich und schrauben deshalb ihr Geschäftsvolumen herunter, damit es in der richtigen Proportion zum Eigenkapital bleibt. Dieses Herunterschrauben, das sich Durchwurschteln und Gesundschrumpfen, ist im Moment die Devise der Banken.
Welche Folgen hat das für die Wirtschaft?
Die Kreditklemme wird dadurch intensiver. Nach Ifo-Umfragen erklären bereits über 50 Prozent der Großunternehmen, dass die Kreditvergabe der Banken restriktiv sei. Hier hat Deutschland ein Problem. Das kann man nicht dadurch lösen, dass jetzt der Staat die Kredite vergibt, sondern nur dadurch, dass die Staat die Banken wieder funktionsfähig macht.
Also sind weitere Interventionen erforderlich?
Ohne Zweifel. Die Banken benötigen staatliche Eigenkapitalhilfen, für die es zwei Wege gibt: Entweder man schenkt den Banken das Geld, oder der Staat erhält als Ausgleich Aktien. Meines Erachtens kommt nur der zweite Weg infrage. Man muss den Geldinstituten helfen – aber nicht auf verstecktem Wege wie mit den Bad Banks, sondern auf dem Weg einer offenen und ehrlichen direkten temporären Beteiligung des Staates.
Sind bereits ausreichend Konsequenzen gezogen worden?
Ich warne eindringlich davor, das Bankenproblem zu unterschätzen. Die Politik nimmt dieses Thema nicht ernst genug. Wenn man den Zahlen von Bloomberg und den Prognosen des Internationalen Währungsfonds glauben darf, dann ist weltweit erst ein Viertel der notwendigen Abschreibungen auf Finanzprodukte realisiert worden. Das heißt: Wir haben den größten Teil des Weges noch vor uns. In Deutschland haben die Banken bereits ein Fünftel ihres Eigenkapitals verloren. Wenn das ein Viertel des Weges war, dann sind insgesamt 80 Prozent Eigenkapitalverlust zu befürchten. Das würde das deutsche Bankensystem erheblich schädigen, sodass es ernste Probleme für die Realwirtschaft gibt.
Deshalb also das staatliche Eigenkapital?
Ja, als Soforthilfe. Darüber hinaus muss man die Banken auch langfristig zwingen, mit mehr Eigenkapital zu arbeiten. Dadurch hätten sie einen größeren Puffer, um Verluste wegzustecken. Und sie würden vorsichtiger agieren, weil sie mehr Geld verlieren könnten als zuvor. Zudem muss deutlich gemacht werden, dass der Staat auch bei der nächsten Krise nicht als Verteiler von Geldgeschenken zur Verfügung steht, sondern nur als Partner, der für seine Hilfe eine Gegenleistung verlangt.