Herr Prof. Sinn, wie bewerten Sie den EU-Nothilfeplan für Griechenland?
Das ist eine gute Lösung für die Euro-Staaten. Die Griechen hätten sich freilich eine weichere Lösung gewünscht, denn der IWF geht relativ harsch voran, mit harten Auflagen, bevor er Hilfsgelder auszahlt. Das ist aber genau der Grund, warum Deutschland gut daran tat, den IWF einzuschalten. Man kann Frau Merkel nur loben, dass sie sich hier als eiserne Kanzlerin erwiesen hat.
Wird der Plan den Euro stabilisieren?
Ich bin kein Hellseher. Ich habe indes Zweifel, ob diese Lösung schon ausreicht, den Euro nachhaltig zu stabilisieren. Das Hauptproblem ist, wie die Griechen ihr hohes Außenhandelsdefizit beseitigen, und da sehe ich leider noch keinen Ansatzpunkt. Griechenland hat ein Außenhandelsdefizit von 38 Milliarden Euro, das jedes Jahr finanziert werden muss. Die Euro-Länder haben einschließlich der IWF-Hilfe aber nur einmal 23 Milliarden als Notkredite in Aussicht gestellt.
Wie hart wird die notwendige Anpassung jetzt für Griechenland?
Griechenland wird die Preise und die Löhne senken müssen, wenn es das Außenhandelsdefizit beseitigen will. Wenn es diesen Weg nicht gehen will und kann, weil er mit Hauen und Stechen verbunden ist und das Land an den Rand des Bürgerkriegs führen könnte, dann müssten wir entweder Griechenland dauerhaft finanzieren - oder das Land muss austreten aus dem Euro-Raum und abwerten.
Soll die Euro-Gemeinschaft einzelne Länder ausschließen dürfen?
Wenn sich Länder nicht an die Regeln des EU-Stabilitätspakts halten, müssen sie bestraft werden. Und wenn sie auch dann nicht parieren, müssen sie in letzter Konsequenz ausgeschlossen werden können. Der Pakt muss in diesem Punkt dringend nachbearbeitet werden. Aber in dieser Frage biss Frau Merkel in Brüssel ja auf Granit.
Was halten Sie von dem Vorschlag, ein freiwilliges Ausscheiden aus der Euro-Zone zu ermöglichen?
Der freiwillige Austritt unter Wahrung der EU-Mitgliedschaft ist sowieso möglich. Gegenteilige Behauptungen sind, so höre ich von Verfassungsrichtern, nicht haltbar.
Es macht bloß niemand, weil er durch den Austritt seine Auslandsschulden vervielfältigen würde!
Natürlich müsste bei einem Austritt die Auslandsschuld entsprechend reduziert werden. Griechenland müsste über Nacht alle Schuldenkontrakte eins zu eins umtauschen von Euros in Drachmen und dann die Drachme abwerten. Das würde bedeuten, dass die bisher in Euro laufenden Schulden reduziert würden. Das würde natürlich erhebliche Verluste für deutsche oder französische Banken bedeuten. Es wäre für Deutschland aber unterm Strich besser, einen solchen Währungsschnitt zuzulassen, als Griechenland dauerhaft zu finanzieren und in Europa einen Finanzausgleich zu etablieren. Es bliebe ja nicht bei Griechenland.
Sie empfehlen Athen den Austritt?
Falls die EU-Länder nicht zur Dauerfinanzierung des Landes bereit sind, ist es für Griechenland besser, eine Zeitlang auszutreten, als eine reale Abwertung über Preise und Löhne innerhalb des Euro-Raums zu versuchen. Eine solche Abwertung würde Griechenland und damit das gesamte östliche Mittelmeer destabilisieren.
Liefert sich Europa jetzt dem Diktat des US-dominierten IWF aus?
Der IWF ist nicht amerikanisch. Er ist eine globale Organisation, in der Deutschland ein faires Stimmrecht hat, welches dem Anteil seiner Geldeinlagen entspricht. Anders als in der EU, wo Deutschland mehr zahlen muss, als es zu sagen hat, sind beim IWF Stimmrecht und Einlagen proportional verkoppelt.
Haben Sie den Widerstand der Europäischen Zentralbank verstanden?
Ja, natürlich. Die EZB hatte Sorgen, dass ein US-Einfluss auf den Geltungsbereich des Euro ausgeübt wird. Aber das sind Empfindlichkeiten, die aus deutscher Sicht zurückstehen müssen gegenüber der Gefahr, dass wir Zahlmeister für die Südländer werden. Der deutsche Kapitalanteil an der EZB ist 27 Prozent. Bei mir ruft es ein Störgefühl hervor, dass wir 27 Prozent der EU-Hilfen für Griechenland aufbringen sollen, doch bei der Frage, ob die EZB griechische Anleihen in Zahlung nehmen soll, nicht mehr zu sagen haben als Griechenland, Portugal oder Luxemburg.
Warum hat der Euro-Pakt versagt?
Weil die Richter selbst die Straftäter sind. Der Stabilitätspakt muss dringend nachgebessert werden.
Was muss konkret verändert werden?
Wir brauchen eine externe Instanz wie den Europäischen Gerichtshof, der Strafen verhängt. Jeder müsste im Ausmaß, wie er über der Drei-Prozent-Defizitgrenze liegt, eine Abgabe in einen gemeinsamen Topf zahlen. Daraus könnten Nothilfen finanziert werden. Das hatte Herr Schäuble vermutlich im Sinn, er lag damit richtig.
Wen sehen Sie neben den Griechen als Sorgenkinder Europas?
Portugals Rating ist gerade herabgesetzt worden, Spanien und Irland sind große Defizitländer. Und dann macht uns auch noch Italien Sorgen. Das sind die Kandidaten.
Birgit Marschall führte das Gespräch.