Zwei Augen zugedrückt

Der Banken-Stresstest war zu lasch, um seine Ergebnisse wirklich ernst zu nehmen. Aber er könnte Deutschland noch teuer zu stehen kommen, sagt Hans-Werner Sinn.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Wirtschaftswoche, 02.08.2010, Nr. 31, S. 38

Nachdem die USA schon im ersten Halbjahr 2009 Stresstests für ihre Banken durchgeführt hatten, um sie, falls nötig, zur Rekapitalisierung mit öffentlichen oder privaten Mitteln zu zwingen, ist nun auch die EU gefolgt. Das Testergebnis erscheint vielen als beruhigend. Anders als in Amerika, wo viele große Banken gezwungen wurden, sich neues Eigenkapital zu besorgen, fiel in Europa kaum eine Bank durch. Nur die griechische ATEbank, eine Handvoll spanischer Sparkassen und die ohnehin schon verstaatlichte deutsche HRE schafften das Klassenziel nicht.

Mit Stresstests sollen Gefahrensituationen durchgespielt werden, um zu prüfen, ob die Banken die möglichen Wertverluste ihrer Aktiva verkraften würden. Konkret hat man unterstellt, dass das Wirtschaftswachstum um drei Prozentpunkte gegenüber der Prognose fällt und die Risikoprämien für Staatsanleihen wieder steigen, im Falle zehnjähriger griechischer Papiere um 2,85 Prozent. Ein Anstieg der Risikoprämien ist gleichbedeutend mit einem Wertverlust der schon umlaufenden Staatspapiere und belastet somit die Bankbilanzen.

Ich habe seit dem Höhepunkt der Finanzkrise vor knapp zwei Jahren mehrfach gefordert, schwächere Banken zur Rekapitalisierung zu zwingen, weil die Bankbilanzen und die nach dem Basel-System berechneten Kernkapitalquoten das tatsächliche Ausmaß der Unterkapitalisierung verschleiern. Viele Banken haben sich zudem um die nötigen Abschreibungen auf toxische US-Papiere gedrückt. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) lag die Quote der anerkannten Abschreibungen zu Jahresbeginn weltweit gerade mal bei der Hälfte der tatsächlichen Wertverluste, und in Europa war sie noch etwas niedriger. Daher ist zu begrüßen, dass die EU sich nun endlich zu einem großen Stresstest durchgerungen hat. Indes sollte der Test auch trennscharf sein. Wenn von den Schülern kaum jemand durchfällt, weckt das den Verdacht, der Lehrer habe beide Augen zugedrückt.

In der Tat wurden die Zinsaufschläge für einen wirklichen Stresstest ungewöhnlich klein gewählt. Sie implizieren bei zehnjährigen Anleihen einen durchschnittlichen Spread der Euro-Länder gegenüber Deutschland von nur 1,49 Prozentpunkten. Das ist zwar ein wenig mehr als der Wert von 1,39, der gemessen wurde, als die Rettungspakete geschnürt wurden. Doch schon am 29. Juni, in eigentlich ruhigen Zeiten, kam der Spread mit einem Wert von 1,44 dem Krisenszenario sehr nahe. Und wenn man nur die anderen Länder außer Griechenland betrachtet, so war der Spread inzwischen an mehreren Tagen (7. bis 9. Juni und 29. Juni) höher, als es für diese Länder im Stresstest unterstellt wurde (1,16). Man fragt sich, was wohl unter dem Stress gemeint sein könnte, den man hat simulieren wollen. Eine Krise sicherlich nicht, auch keine kleine.

Noch befremdlicher ist, dass nicht einmal die minimalen Abschreibungsverluste wirklich berücksichtigt wurden, die von den unterstellten Spreads impliziert werden. Abgeschrieben wurden nämlich nur die Papiere, die die Banken im Handelsbuch führen, nicht aber jene, die im Anlagenbuch stehen - und das ist der Löwenanteil. Im Anlagenbuch werden europäische Staatspapiere zu 100 Prozent ihres Nennwertes gebucht, weil man davon ausgeht, dass die Rettungsaktionen der EU-Staaten die Zahlungsfähigkeit der bedrängten Schuldner sichern.

Das freilich ist noch gar nicht ausgemacht, denn das Rettungsangebot gilt gerade mal für drei Jahre und deckt die Laufzeit mancher Papiere gar nicht ab. Im Falle Griechenlands wurden 110 Milliarden Euro an Rettungsgeldern gewährt, während pro Jahr etwa 50 Milliarden Euro an revolvierenden Schulden und 30 Milliarden Euro an neuen Schulden finanziert werden müssen. Im Notfall würde das Geld hinten und vorne nicht reichen. Offenbar hat man bei den Stresstests eine Ausweitung und Verlängerung der Rettungsmaßnahmen unterstellt, obwohl es solche Beschlüsse noch gar nicht gibt.

Eine neue Wirklichkeit Vielleicht kommen diese Beschlüsse unter französischem Druck noch zustande. Schließlich hat Frankreich, dessen Banken während der Euro-Krise weitaus mehr Papiere südlicher Staaten hielten als die deutschen, seine weitgehenden Vorstellungen über die von Deutschland zu leistenden Hilfen schon in der ersten Rettungsrunde durchgesetzt. Vielleicht wird eine Vertragsverlängerung aber auch mit einem Schuldennachlass zulasten der Gläubiger verbunden, wie es praktisch alle Ökonomen fordern. In dem Fall werden Abschreibungsverluste auf die Staatspapiere der südlichen Länder in den Bilanzen auch dann unvermeidlich sein, wenn die Papiere bis zum Ende der Laufzeit gehalten werden.

Auch die Märkte gingen vor der Veröffentlichung der Testergebnisse offenbar davon aus, dass der vollkommene Gläubigerschutz, den die derzeitigen Rettungspakete beinhalten, so nicht erhalten bleiben wird, denn anders kann man die Abschläge auf die Papiere der südlichen Länder nicht erklären. Aber nun haben die Tests eine neue Wirklichkeit geschaffen. Auch wenn sie selbst nichts taugen, werden sie vielleicht als Selbstverpflichtung der anderen EU-Länder interpretiert, Deutschland zu einer Verlängerung der Rettungsmaßnahmen ohne eine Mitbeteiligung der Gläubiger zu bewegen. Das wäre eine gute Nachricht für die Eigentümer von Bankaktien, doch eine schlechte für die deutschen Steuerzahler.

Sinn, Hans-Werner