Der Stammtisch hat es gewusst. Der Euro könnte teuer werden. Schon acht Jahre nach der Einführung des Euro wird Deutschland für den Freikauf schwacher Partner zur Kasse gebeten. Der Ton der Forderungen wird immer schärfer und dreister. Von interessierter Seite werden dann auch noch scheinwissenschaftliche Argumente nachgeliefert, nach denen es zu erheblichen Turbulenzen am Markt kommen wird, wenn sich Frau Merkel durchsetzt und einen Haircut zulasten der Gläubiger vor die Hilfe der Staatengemeinschaft stellt.
In Wahrheit ist es umgekehrt. Die aktuellen Kurswerte griechischer, irischer und portugiesischer Anleihen liegen, wie zum Teil schon im Mai, deutlich unter den Nennwerten, zum Teil um 30 Prozent und mehr. Wer in dieser Situation einen EU-Vertrag mit einer Vollkaskoversicherung gegen Zahlungsunfähigkeit unterschreibt, erzeugt ein Kursfeuerwerk, das erheblich Turbulenzen auslösen wird. Auch Ausschläge nach oben destabilisieren die Märkte, weil sie der Überhitzung wieder neue Nahrung liefern.
Die Bundesregierung muss jetzt hart und besonnen bleiben, denn es geht um viel. Alle EU-Länder außer Dänemark und Großbritannien müssen ja dem Euro beitreten. Wenn jetzt gepatzt wird, kann die Sache sehr, sehr teuer für Deutschland werden. Nicht nur, weil Bürgschaften fällig werden, noch viel mehr, weil sich dann der gigantische Kapitalexport aus Deutschland heraus fortsetzt, der unser Land während des letzten Jahrzehnts bereits so sehr geschwächt hat. Die Banken der Gläubigerländer müssen zwingend an Rettungsaktionen beteiligt werden, damit sie beim Kapitalexport vorsichtiger werden.
Es geht nicht nur um eine gerechte Lastenverteilung. Noch viel wichtiger ist es, den Blutverlust zu stoppen, der Deutschland in den letzen eineinhalb Jahrzehnten die niedrigste Nettoinvestitionsquote aller OECD-Länder, die zweitniedrigste Wachstumsrate Europas und eine entbehrungsreiche reale Abwertung von 18 Prozent gegenüber den anderen Ländern des Euro-Raums gebracht hat, die zu einer Zerreißprobe der Gesellschaft wurde. Das Grundprinzip muss sein, dass vor jeglicher Hilfe ein Haircut kommt, was auch immer man im Einzelnen vereinbart. Eine Einigung, bei der Deutschland seine Insolvenzordnung kriegt, wenn es im Ausgleich vorgeschaltete Hilfsprogramme akzeptiert, wäre ein Pyrrhus-Sieg. Nur der vorgeschaltete Haircut aktiviert die Schuldenbremse in Form von Zinsaufschlägen für die Sünder und begrenzt weitere Kapitalexporte.
Im Auftrag der FDP hat das ifo Institut jetzt einen Krisenmechanismus entwickelt, der diese Bedingung erfüllt. Ab sofort werden danach von den EU-Staaten nur noch Anleihen mit Collective Action Clauses (CAC) ausgegeben, und zwar sowohl für die ungeschmälerte Bedienung der Altschulden als auch zur Finanzierung eines Budgetdefizits. Die Collective Action Clause besagt, dass ein überschuldetes Land bei drohender Zahlungsunfähigkeit, die die Rückzahlung einer bestimmten Tranche der Anleihen betrifft, mit den Eigentümern dieser Tranche getrennt über eine Umschuldung verhandeln und dann zu einer Mehrheitsentscheidung kommen darf, ohne dass andere Gläubiger beteiligt sind oder ihre Anleihen fällig stellen dürfen. Kommt die Einigung nicht zustande, wird automatisch ein Haircut in Höhe des Marktwertabschlags auf den Nennwert vorgenommen, mindestens 20 Prozent und höchstens 50 Prozent, und der Restwert wird dann in Ersatzanleihen umgewandelt, die zu 80 Prozent von der Staatengemeinschaft besichert sind. In den besicherten Ersatzanleihen liegt eine ganz erhebliche Solidaritätsleistung der Staatengemeinschaft, allen voran Deutschlands, die ihre Stabilisierungswirkung nicht verfehlen wird und panikartige Dominoeffekte ausschließt.
Die Summe der Bürgschaften ist auf 30 Prozent des BIPs des Schuldnerlandes begrenzt. Reicht diese Bürgschaft nicht aus, die Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen, werden alle Schulden gemeinsam fällig, und es wird eine allumfassende Umschuldungsaktion zwischen Schuldenland und Gläubigern mit offenem Ausgang vorgenommen. Die Staatengemeinschaft kann dem Schuldnerland in diesem Fall zur Sicherung des Primärdefizits des Haushalts, also des Defizits ohne Schuldendienst, für weitere drei Jahre zu 80 Prozent besicherte Staatsanleihen zur Verfügung stellen.
Deutschland gibt viel, wenn ein neuer Rettungsschirm aufgespannt wird. Es hat vom Euro bislang Schutz vor Wechselkursschwankungen und eine niedrige Inflationsrate bekommen, sich aber ansonsten massive Wachstumseinbußen eingehandelt. Dennoch sollte es aus Gründen der Solidarität und Sicherheit an diesem europäischen Einigungswerk festhalten. Indes kann uns niemand zwingen, einer Transferunion im Euro-Raum beizutreten. Wer eine solche Union will, soll sie mit Gleichgesinnten errichten. Es müssen nicht alle Euro-Länder mit gleicher Geschwindigkeit fahren.
Sinn, Hans-Werner