Irland kann sich selbst helfen

Hans-Werner Sinn über die Europa-Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Handelsblatt, 29.11.2010, Nr. 231, S. 56

Unter der Überschrift "Versailles ohne Krieg" hat Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart Bundeskanzlerin Merkel vorgeworfen, die am Boden liegenden europäischen Schuldenstaaten bestrafen und zur Senkung ihrer Ausgaben zwingen zu wollen. Er schlug eine Wachstumsstrategie vor und erinnerte an den Marhall-Plan der Nachkriegszeit.

Steingarts Versailles-Vergleich wurde pikanterweise schon von "Le Figaro" bei der Diskussion um den Maastrichter Vertrag gebraucht, nur andersherum. Der Euro zwinge Deutschland dazu, nun endlich zu zahlen, so hieß es in diesem staatstragenden Blatt. Maastricht sei der "Versailler Vertrag ohne Krieg". Auch der französische Präsident Mitterrand hat den Versailles-Vergleich, wie glaubhaft bezeugt wird, bei einer öffentlichen Rede bemüht. Schon früher hatte er die D-Mark als deutsche "Atomstreitmacht" bezeichnet, die es abzuschaffen gelte. Es ist debattierbar, wer hier richtiger liegt, Mitterrand oder Steingart.

Ich habe Verständnis für Steingarts Position im Falle Griechenlands und Portugals. Portugal kann man angesichts seiner geringen Staatsschuld mit Aussicht auf Erfolg unter den Euro-Rettungsschirm nehmen. Griechenland wird es indes aus eigener Kraft nicht schaffen. Seine Gläubiger müssen dem Land einen Teil seiner Schulden erlassen, und dann sollte das Land neue Wege gehen. Die deutschen Banken werden das verkraften.

Nicht einverstanden bin ich mit Hilfen für Irland. Hier hinkt der Vergleich mit dem Marshall-Plan gewaltig. Irland wurde nicht vom Krieg verwüstet, sondern ist ein reiches Land mit einem BIP pro Kopf, das trotz der Schrumpfung in diesem Jahr noch immer 14 Prozent über dem deutschen, ja sogar etwa acht Prozent über dem westdeutschen Wert liegt. Wer ist hier stark gegenüber den Schwachen? Frau Merkel jedenfalls nicht.

Hätte Irland die gleiche Abgabenquote wie wir, würde es 11,4 Prozent des BIP pro Jahr zusätzlich einnehmen. Das würde nach heutigen Verhältnissen reichen, die Zinsen für eine zusätzliche Staatsschuld in Höhe von rund 125 Prozent des irischen Bruttoinlandsprodukts, also knapp 200 Milliarden Euro, zu finanzieren. Für die Rettung der Banken kommt aber nur eine Schuld von etwa 50 Milliarden zusammen, und das auch nur, wenn man die Forderungen der Bankgläubiger nicht in Aktien verwandeln möchte, was eigentlich geboten wäre. Irland kann sich wahrlich selbst helfen, wenn es nur will.

Es ist auch gar nicht einzusehen, warum Deutschland das irische Steuerparadies stützen sollte. Über in Irland ansässige Zweckgesellschaften haben die deutschen Banken jahrelang einen Teil der deutschen Spargelder, die hier einer Verwendung für Investitionen des Mittelstands und den Häuserbau entzogen wurden, in die weite Welt verteilt. Seien wir froh, dass die Banker nun aus Angst vor dem Risiko wieder neues Interesse an den langweiligen, aber sicheren inländischen Firmenkunden und Häuslebauern bekunden. Wir sollten den Trendwechsel, den die Krise für Deutschland bedeutet, nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, indem wir in Europa eine Vollkaskoversicherung ohne Selbstbehalt gegen die Zahlungsunfähigkeit der Schuldner einführen.

Manchmal wird gesagt, das Exposure deutscher Banken gegenüber irischen Privatschuldnern und dem Staat habe die gigantische Höhe von etwa 130 Milliarden Euro und lasse überhaupt keine andere Wahl, als Irland unter den Rettungsschirm zu nehmen. Diese Aussage ist falsch, weil hinter dieser Zahl etwa 100 Milliarden Ansprüche gegenüber eigenen Zweckgesellschaften der deutschen Banken stehen, deren Risiken mit der Bonität des irischen Staats und der irischen Banken nichts zu tun haben.

Das echte Exposure ist wie im Falle Griechenlands maximal 30 Milliarden Euro. Alles Peanuts, um es in der Sprache der Banker auszudrücken. Irland droht aber ohnehin keine Pleite. Dass es die Kredite der Luxemburger Zweckgesellschaft gleichwohl in Anspruch nehmen will, liegt an den vergleichsweise niedrigen Zinsen, mit denen sich die Garantieländer begnügen, sowie auch am Druck der EU: Die Luxemburger Zweckgesellschaft soll schon mal in Betrieb genommen werden, damit sie in Zukunft den schwächeren Ländern Europas als Dauereinrichtung auch ohne Krise billige Kredite verschaffen kann.

Wenn zudem durch die Kreditaufnahme der Iren eine neue Krisenstimmung geschürt wird, kann das bei den anstehenden Verhandlungen über eine Nachfolgeregelung zu den Rettungspaketen nur recht sein: Je überzeugender die Krise orchestriert wird, desto eher wird es gelingen, Deutschland zur Öffnung seiner Geldbörse zu veranlassen.

Der Autor ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung.
Sinn, Hans-Werner