Gleichheit nur um den Preis von Armut

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Südwest Presse, 16.11.2005, S. 4

Rubrik: „Fremde Federn“ von Hans-Werner Sinn

Kaum ein Politiker in Deutschland wagt es, der Bevölkerung klarzumachen, wie eine Marktwirtschaft funktioniert. Es wird verschwiegen, dass Ungleichheit die Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität ist und dass die Entlohnung in der Marktwirtschaft nicht nach dem Prinzip der Gerechtigkeit, sondern nach dem Prinzip der Knappheit erfolgt. Und die Bevölkerung wird im Unklaren darüber gelassen, dass mehr Gleichheit nur um den Preis eines schrumpfenden Kuchens, der für alle zusammen zur Verfügung steht, zu haben ist.

Reichtum ist in Deutschland verdächtig, insbesondere solcher, der auf eigener Arbeit beruht. Man will nicht vom Tellerwäscher zum Millionär werden, sondern löst das Problem lieber mit einer Millionärssteuer. Kurz nach Abschaffung des Bankgeheimnisses und der Gesetzgebung zur Offenlegung der Managergehälter haben sich gleich mehrere Parteien eine Millionärssteuer auf ihre Fahnen geschrieben. Begründet wird sie mit der angeblichen Umverteilung von unten nach oben durch die Steuerreform.

Dies zeugt von einer abenteuerlichen Begriffsverwirrung, reflektiert aber verbreitete Besitzstandsvorstellungen. Naturgemäß hat die Senkung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer den Reichen mehr Vorteile gebracht als den Armen. Da die untersten 40 Prozent der Einkommensbezieher fast gar keine (drei Prozent) Einkommensteuer zahlen und die obersten zehn Prozent etwa die Hälfte (53 Prozent) des Aufkommens erbringen, kann es nun einmal nicht anders sein.

Eine Millionärssteuer die eine Einkommensgrenze von 500 000 Euro hat, würde 36 000 Steuerpflichtige mit Gesamteinkünften von 49 Milliarden Euro erfassen. Bislang zahlen diese Steuerpflichtigen etwa 20 Milliarden Euro Einkommensteuer. Es sind also noch 29 Milliarden Euro „drin“, was einem guten Drittel der jährlichen Nettoverschuldung des Staates entspricht.

Warum macht man eigentlich nicht gleich reinen Tisch und nimmt den Millionären alles weg? Dann hätte man für ein, zwei Jahre vielleicht diese 29 Milliarden als zusätzliche Steuereinnahmen, und anschließend könnte man den Laden dichtmachen. Spätestens dann hätten sich nämlich die Millionäre mit ihrem Einkommen davongemacht, Deutschlands Wirtschaft wäre zusammengebrochen – und mit ihr die andren Steuereinnahen des Staates. Wir wären alle gleichmäßig arm und die Neidpräferenzen dann endlich befriedigt.