Die Privatisierung in Großbritannien zeigt, wie man es nicht machen darf - Der Erhalt der Verkehrswege bleibt eine Aufgabe der öffentlichen Hand
Von HANS-WERNER SINN
England sei Dank! Nach dem Beispiel Margret Thatchers und John Majors hat sich eine Privatisierungswelle über den gesamten europäischen Kontinent ausgebreitet. Sie wurde von der Hoffnung auf Kosteneinsparungen und Preissenkungen getragen, erhielt aber weiteren Schub von der Aussicht auf höhere Vorstandsgehälter und auf eine leichtere Erfüllung des Maastrichter- Schuldenkriteriums. Was auch immer die wahren Motive waren: es ist kaum zu bestreiten, dass die Privatisierung der Telekommunikations- und Stromwirtschaft den Verbrauchern . Vorteile gebracht hat.
Gerade noch rechtzeitig hat die Privatisierung der britischen Eisenbahnen nun aber auch gezeigt, wie man es nicht machen darf. Die Railtrack Plc, die das Schienennetz verwaltet, hat ihre Aktionäre, und Manager reich gemacht, aber sie hat die britische Öffentlichkeit um eine leistungsfähige Infrastruktur betrogen. Jedenfalls hat sie es nicht geschafft, das Schienennetz intakt zu halten, von einem Ausbau ganz zu schweigen. Das schöne Geld war den Betreibern dafür viel zu schade. Die Konsequenzen des Gewinnstrebens sieht man an den sich häufenden Horrorbildern in den Nachrichten. Dabei sind nicht einmal die vielen Unfälle das Hauptproblem, sondern die extrem langen Fahrzeiten, die sich ergeben, weil die Höchstgeschwindigkeiten aus Sicherheitsgründen dramatisch reduziert werden mussten. Die englische Bahn fährt heute nicht schneller als vor hundert Jahren.
Einen Staatsbetrieb zu privatisieren macht nur dann Sinn, wenn man anschließend Konkurrenz herstellen kann. Das geht auf der Schiene, aber nicht mit der Schiene. Es ist möglich, mehrere Bahngesellschaften zeitlich versetzt auf denselben Strecken fahren zu lassen. Wenn man anders als in England eine Koordinierungsbehörde einrichtet, die die Zugverbindungen koordiniert, dann kann auf diese Weise ein sinnvoller Wettbewerb entstehen.
Aber man kann nicht das Netz in parallele Wege aufspalten, die miteinander konkurrieren. In Kanada gibt es zwei Gesellschaften, die jede für sich eine einzige Ost-West-Trasse besitzen und in beiden Richtungen befahren. Eine solche Lösung ist möglich, aber unwirtschaftlich. Aus technischen Gründen ist das Netz ein natürliches Monopol, und das gehört in die Hand des Staates, wenn man eine Übervorteilung der Verbraucher und eine Unternutzung der Trassen verhindern will.
Auch ein privates Monopol, dessen Preise staatlich kontrolliert werden, könnte schwerlich funktionieren, denn keiner staatlichen Regulierungsbehörde würde es gelingen, sich dem Gewinninteresse privater Lobbies zu widersetzen und im Interesse der Verbraucher zu handeln. Ohne Konkurrenz macht die Privatisierung wirklich keinen Sinn. Die maßlosen Preiserhöhungen, die sich die Deutsche Bahn nach ihrer formellen Privatisierung erlaubt hat, zeigen die Relevanz dieses Problems.
Das Schienennetz ist ein sogenanntes "öffentliches Gut", bei dem nur eine geringe Rivalität in der Nutzung vorhanden ist. Im Einklang mit dem Weißbuch der EU zur Verkehrsinfrastrukturpolitik und den Lehrbüchern der Volkswirte sind für die Nutzung dieses Gutes nur Grenzkostenpreise zu verlangen, die durch die Unterhaltskosten sowie die Staukosten in Form der gegenseitigen Behinderung der Verkehrsteilnehmer, nicht jedoch durch die Baukosten erklärt werden. Diese Grenzkostenpreise helfen, den Verkehrsfluss optimal zu regulieren, doch bringen sie nicht genug Einnahmen, um die Baukosten vollständig zu decken. Betriebswirtschaftliche Rentabilitätskriterien sind deshalb fehl am Platze. Ein Finanzierungsdefizit bei der Bereitstellung des Schienennetzes ist eine notwendige, wenngleich natürlich keine hinreichende Bedingung für volkswirtschaftlich effiziente Nutzungspreise, die den privaten Bahngesellschaften abzuverlangen sind.
Es ist gut, dass der Verkehrsminister sich nun entschlossen hat, der Deutschen Bahn AG einen Strich durch die Rechnung zu machen. Auf keinen Fall wäre es sinnvoll gewesen, das in hundertundfünzig Jahren aufgebaute Volksvermögen, das in Form der Eisenbahntrassen bis in die feinsten Innenstadtlagen hineinreicht und dessen- wahrer Wert kaum zu ermessen ist, an der Börse zu verhökern und es dann den. privaten Eignern zum Zwecke der Gewinnmaximierung zu überlassen. England sei Dank, dass dieser Unsinn im letzten Moment verhindert wurde.
Zur Finanzierung der Trassen will der Verkehrsminister eine Finanzierungsgesellschaft für Verkehrsinfrastruktur schaffen, die auch die Autobahnen verwalten soll. Sie soll das Recht erhalten, Mautgebühren von den privaten LKWs und den privaten Zügen zu kassieren und zwischen den Verkehrswegen Quersubventionen vorzunehmen.
Die Quersubventionen widersprechen nicht grundsätzlich den volkswirtschaftlichen Erkenntnissen über optimale Mautgebühren, und es kann auch kein Zweifel bestehen, dass der Autoverkehr nur über tageszeit- und streckenabhängige Mautgebühren sinnvoll reguliert werden kann. Doch muss man bedenken, dass auch Straßen öffentliche Güter sind, bei deren Bereitstellung Finanzierungsdefizite auftreten müssen, wenn die Mautsätze optimal gewählt sind. Auch dort gilt, dass die Maut nur den laufenden Unterhalt und die Kosten der gegenseitigem Behinderung der Verkehrsteilnehmer, nicht aber die Baukosten decken darf.
Insofern führt an einer fortgesetzten Mitfinanzierung aller Verkehrswege aus dem allgemeinen Steueraufkommen kein Weg vorbei. Der Erhalt der Verkehrswege bleibt eine Staatsaufgabe - übrigens eine Erkenntnis, die neoliberalen Vorstellungen keineswegs widerspricht.
Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Handelsblatts.