Die Weltwirtschaft scheint sich zu erholen. Warum Deutschland nur sehr langsam aus der Rezession herausfindet, erläutert Professor Hans-Werner Sinn, Inhaber des Lehrstuhls für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität München und Leiter des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Bekannt ist das Ifo-Institut vor allem für seinen Geschäftsklima-Index, der monatlich durch Befragung von mehreren tausend Unternehmen erhoben wird und als zuverlässiges Konjunkturbarometer gilt.
Nach den Einbrüchen im letzten Jahr gibt es für die Weltkonjunktur erste Anzeichen für eine Erholung. Das ifo-Weltwirtschaftsklima, das durch die vierteljährliche Befragung von neunhundert Experten in achtzig Ländern erhoben wird, hat sich nach dem Anstieg im Januar 2002 bei der zweiten Befragung im Mai abermals stark erholt. Erstmals hat sich im europäischen Durchschnitt neben den Erwartungen auch die Lagebeurteilung deutlich verbessert. Damit folgt die europäische Konjunktur der amerikanischen mit einem Vierteljahr Verzögerung. Aber die Unterschiede innerhalb Europas sind erheblich. Während die nordischen Länder, England und auch Frankreich anziehen, bleibt die Situation in Italien unbefriedigend. In Deutschland, wo das Ifo-Institut zusätzlich über ein direktes Umfragesystem verfügt, das monatlich 7000 Unternehmen erfasst, haben sich im Wesentlichen nur die Erwartungen verbessert. Die Lage wird nach wie vor als schlecht beurteilt. Dennoch: Auch in Deutschland ist für das zweite Halbjahr der Aufschwung zu erwarten, denn die weltweite Konjunkturbelebung wird auch uns erfassen.
Getrieben wird die Verbesserung vor allem durch die USA, die dank einer energischen Geldpolitik wohl zuerst aus der weltweiten Rezession herausfinden werden. Das Ifo-Institut prognostiziert für dieses Jahr ein US-Wachstum von 2,4 Prozent. Ungeachtet der Konjunkturentwicklung bleibt Deutschland beim Wachstum freilich das Schlusslicht in Europa. Diesen Trend kann man nur umkehren, wenn man die strukturellen Probleme, insbesondere jene des Arbeitsmarktes, angeht. Die weit verbreitete Vorstellung, Wachstum schaffe Beschäftigung, ist nicht mehr aktuell. Beschäftigung schafft Wachstum ist die richtige These.
Generell hat die Globalisierung, insbesondere die Schaffung eines perfekten Kapitalmarktes durch den Euro, die relativen Knappheitsverhältnisse von Kapital und Arbeit zu Lasten der Arbeit verschoben. Der Versuch, sich den Verteilungskonsequenzen durch eine Verteidigung der hohen Lohnkosten entgegenzustellen, schafft Arbeitslosigkeit. Deutschland hat im Bereich der Industrie die höchsten Lohnkosten der Welt. Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, bedarf es einer grundlegenden Änderung der Weichenstellung. Die Menge der rentabel zu bewirtschaftenden Arbeitsplätze ist nicht fest vorgegeben, sondern steigt, wenn die Arbeitskosten fallen. An zwei Stellen muss die Politik ansetzen, um die notwendige Lohnflexibilität zu schaffen.
Zum einen muss der Flächentarifvertrag in der jetzigen Form relativiert werden. Schwächeren Betrieben muss es erlaubt sein, untertarifliche Löhne zu zahlen, wenn die Arbeitnehmer sich mehrheitlich für eine solche Politik aussprechen. Flächentarifverträge nach alter Art verhindern Lohnflexibilität. Sie müssen durch Öffnungsklauseln nach unten hin flexibilisiert werden. Zum anderen müssen die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe reformiert werden, denn sie sind Entlohnungen für das Nichtstun. Beide Hilfssysteme sind so ausgestattet, dass das staatliche Geld fließt, wenn man nicht arbeitet, und versiegt, wenn man es tut. Dadurch begründen sie Anspruchslöhne, die in vielen Fällen über dem liegen, was ein Arbeitnehmer in einem Job erwirtschaften kann, und die deshalb die Schaffung und Bewirtschaftung eines solchen Jobs verhindern.
Richtig ist es, dass der Staat den Bedürftigen hilft, aber die Mithilfe der Betroffenen muss ebenfalls eingefordert werden. Deshalb muss man die Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe zusammenfassen und beide so deutlich kürzen, dass nur die allernötigsten Grundbedürfnisse dadurch gedeckt werden können. Mit dem so frei werdenden Geld kann man sodann Niedriglöhne subventionieren. Eine solche Reform würde das Arbeiten und nicht das Nichtstun belohnen, und sie würde die Löhne für einfache Arbeit zum Sinken bringen, so dass die nötigen Jobs geschaffen werden. Den meisten Betroffenen ginge es besser als im heutigen System.
Es gibt Wege, das Land wieder flott zu machen. Aber sie verlangen schon den Mut zu grundlegenden Reformen, die auch vor den Tabus des alternden Sozialstaates nicht Halt machen.