Zu hohe Löhne, verkrustete Arbeitsmärkte - der Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung sagt, warum der Aufschwung nur von begrenzter Dauer sein wird.
EURO: Die Konjunktur in Europa kommt auf Touren. Steht uns ein so lang anhaltender Wirtschaftsaufschwung wie in den USA bevor?
SINN: Nein. Wir kriegen einen Boom, der zwei bis drei Jahre dauert. Dann erlischt seine Kraft wieder. Das liegt daran, dass in Europa viele strukturelle Dinge noch nicht in Ordnung sind: Die Löhne sind zu hoch, und die Arbeitsmärkte sind verkrustet. Außerdem fehlt bei uns die politische und wirtschaftliche Flexibilität, die zu der stürmischen Entwicklung in den USA geführt hat.
EURO: Was muss konkret geschehen, damit wir einen langfristigen Wirtschaftsaufschwung bekommen?
SINN: Wir müssen den Arbeitsmarkt reformieren und versuchen, Vollbeschäftigung zu erreichen. Das geht nur über mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt. Die Löhne dürfen nicht so stark steigen.
EURO: Wie stark denn?
SINN: Der Lohnzuwachs muss unter dem Produktivitätsfortschritt bleiben. Damit würde es rentabler werden, mehr Arbeitskräfte einzustellen. Zum zweiten muss man die Löhne je nach Qualifikation stärker spreizen. Die einfache Arbeit in Deutschland ist zu teuer. Die geringe Lohnspreizung hat dazu geführt, dass viele Arbeitsplätze vernichtet worden sind.
EURO: Damit nehmen Sie auch eine Spaltung der Gesellschaft in Kauf.
SINN: Nein. Das kann man abfangen, indem man das System der sozialen Sicherung umgestaltet. Man könnte beispielsweise Sozialhilfe gewähren, wenn man ein Lohneinkommen nachweist. Das heißt: Leute, die Billigjobs annehmen, kriegen ein Arbeitseinkommen plus Sozialhilfe. Damit würden die Löhne deutlich fallen. Und mit niedrigeren Löhnen werden Jobs geschaffen.
EURO: Der Euro fällt, die Nervosität unter Politikern und Finanzexperten nimmt zu. Besteht Grund zur Sorge?
SINN: Das ist schon ein beachtlicher Wertverlust für internationale Anleger, die im Euroraum investiert haben. Andererseits ist die Aufregung etwas übertrieben, weil die Schwankungen der D-Mark gegenüber dem Dollar früher auch nicht geringer waren. Im Februar 1985 kostete ein Dollar 3,45 Mark. Umgerechnet auf den Euro-Kurs sind das 56 Cent. Wir sehen beim Euro also keine Sonderentwicklung.
EURO: Der niedrige Euro-Kurs erleichtert Exporte. Andererseits werden Importe teurer, was die Inflationsgefahr erhöht. Welcher Effekt wiegt schwerer?
SINN: Der niedrige Euro-Kurs ist sicher ein Segen für die Wirtschaft, weil die Nachfrage aus dem Ausland steigt. Europa wird dadurch einen starken Exportboom bekommen, der die gesamte Wirtschaft antreibt. Die Auswirkungen auf die Inflationsrate sind dagegen bisher noch nicht erheblich.
Realistischer Euro-Kurs unter Parität zum Dollar
EURO: Besteht Handlungsbedarf? Müssen Politik und Europäische Zentralbank den Euro stützen?
SINN: Wenn sie ihn stützen wollen, müssen sie die Zinsen erhöhen. Damit laufen sie Gefahr, den Konjunkturaufschwung zu behindern. Im Übrigen gibt es eine Selbstkorrektur von Euro und Zinsen innerhalb von Konjunkturabläufen. Wir kommen gerade aus der Rezession, da sind Währung und Zinsen noch niedrig. Je stärker aber die Wirtschaft, desto höher die Zinsen und desto stärker der Euro.
EURO: Wo sehen Sie den realistischen Euro-Kurs?
SINN: Knapp unter der Parität zum Dollar.
EURO: Wie wird sich die Aufnahme von Ländern wie Griechenland in den Euro-Kreis auswirken?
SINN: Griechenlands Beitritt würde den Kurs sicher nicht stärken.
EURO: Und welche Folgen wird die Osterweiterung der EU sowie eine mögliche spätere Aufnahme dieser Länder in den Euro-Kreis haben?
SINN: Wenn die mittel- und osteuropäischen Länder eines Tages dem Euro-Kreis beitreten, würde der Währungsraum größer. Das dürfte den Euro als internationale Transaktionswährung stützen und damit seinen Kurs stabilisieren.
EURO: Kürzlich haben Sie - mit anderen Instituten - das Frühjahrsgutachten vorgestellt. Auf welche Resonanz stoßen die Untersuchungen Ihres Hauses in Politik und Wirtschaft?
SINN: Man darf den Einfluss der wirtschaftspolitischen Beratung nicht überschätzen. Die Politiker haben ihre Meinung und wollen dafür eine Bestätigung hören. Aber man kann Dinge anstoßen, so wie wir das mit der Ladenschlussdebatte getan haben. Wir haben aber die Hoffnung, dass sich durch unsere Arbeit eine Idee in den Köpfen der Politiker festpflanzt.
Interview: Thorsten Schüller