(SZ) Die Terroranschläge in den USA werden nach Ansicht des Präsidenten des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, nur begrenzte Auswirkungen auf die Weitwirtschaft haben. Eine Rezession werde es nicht geben, jedoch Verzögerungen bei einem neuen Aufschwung. Sinn erwartet Veränderungen der Kapitalströme als Folge von Zweifeln an der Rolle der USA als sicherer Hafen für Investoren.
SZ: Kann der Terroranschlag die Weltwirtschaft ins Mark treffen?
Das glaube ich nicht. Die Weltwirtschaft ist zu robust, um dadurch maßgeblich erschüttert zu werden.
Gilt das für alle denkbaren Szenarien, die sich anschließen können?
Natürlich gibt es ein Worst-Case-Szenario. Wenn die Amerikaner einen Krieg im Nahen Osten gegen mutmaßliche Hintermänner der Terroristen begännen, dann wären Probleme für die Energieversorgung und drastische Ölpreissteigerungen zu erwarten. Dies hätte gravierende Konsequenzen für die Weltkonjunktur. Ich halte dieses Szenario jedoch nicht für wahrscheinlich.
Also keine tiefer gehenden ökonomischen Schädigungen?
Man muss unterscheiden zwischen den materiellen und psychologischen Schäden. Die materiellen Schäden sind mit den Folgen eines Erdbebens zu vergleichen und von den Rückversicherern dieser Erde durchaus verkraftbar. Wichtiger sind hingegen die psychologischen Schäden.
Sie meinen die Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Amerikaner?
Nein, die Sache geht tiefer. Amerika wird seine Funktion als sicherer Standort für Kapitalinvestitionen möglicherweise einbüßen. Es wird in der Welt eine neue Phase des Nachdenkens über die Rolle Amerikas einsetzen. Zum Beispiel über die Frage, wie sicher ist das Leben dort?
Heißt das, dass man die USA auch weiterhin für die Zielscheibe des internationalen Terrorismus halten wird?
Ich glaube, dass sich die Diskussion auf Bereiche ausweiten wird, an die man unter dem Eindruck des Schocks noch gar nicht denkt. Auf ökonomischem Gebiet ist es der hohe Kapitalimport von vier Prozent des Sozialprodukts, den man schon immer als problematisch erachtet hat. Darüber hinaus wird man sich auf die großen gesellschaftlichen Unterschiede besinnen, auf die extreme Einkommensungleichheit, was letztlich in die Frage mündet: Wie stabil ist eigentlich die amerikanische Gesellschaft?
Bedeutet dies, dass man mit einer wesentlichen Veränderung der Kapitalströme rechnen muss?
Das bedeutet jedenfalls für Investoren, dass Amerika nicht mehr der sichere Hort ist, wo sie ihr Kapital ohne Bedenken anlegen können. Das heißt, dass die Aktienkurse längerfristig unter Druck geraten werden, mit der Folge, dass sich das Investitionsklima verschlechtert, wo durch sich wiederum der Kapitalzustrom verringern wird.
Was wird dann aus der ersehnten Konjunkturerholung in den USA?
Nun, die kurzfristigen Effekte werden nicht dramatisch, aber doch fühlbar sein. Das heißt, dass sich die Trend wende hin zu einem Aufschwung durch dieses Ereignis verzögern wird. Falsch wäre es hingegen, wenn man annehmen würde, die USA und damit die Welt würden jetzt in eine Rezession kippen.
Was bedeutet dies mit Blick auf Europa?
Das kann dem Euro helfen, vor allem aber werden sich die Aktien in Europa besser entwickeln als diejenigen in den USA. Im Übrigen müssen die konjunkturellen Anstoßeffekte verstärkt aus Europa kommen.
Machen die negativen Auswirkungen auf die Konjunktur jetzt eine beschleunigte Zinssenkung notwendig?
Ich könnte mir vorstellen, dass die USA unter dem Eindruck der Ereignisse noch einmal die Zinsen senken. Was in Europa passiert, hängt davon ab, welche Auswirkungen sich hier einstellen.
Interview: Helmut Maier-Mannhart