Interview. Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchner ifo Instituts, über den konkreten Nutzen der Forschungsarbeit für Unternehmen, politische Erfordernisse und Bayerns "Wirtschaftswunder".
IHK-Magazin: An wen wendet sich das ifo Institut?
Sinn: An die Politik, an die Wirtschaft und an die Wissenschaft. Es geht darum, in der Wirtschaftspolitik einen liberalen, wirtschaftsfreundlichen Politikansatz zu verfolgen, der auch gesamtwirtschaftlichen Interessen dient. Es geht darum, die Unternehmen zu beraten, indem wir sie über Markttrends informieren. Es geht darum, der Wissenschaft die Daten und das Problembewusstsein zu verschaffen, das sie für ihre Theorien braucht.
Betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Interessen stehen ja nicht immer miteinander in Einklang.
Doch, ich denke schon. Auch di Wirtschaftspolitik muss sich um Markttrends kümmern, und den Unternehmen kann die Politik nicht egal sein. Wenn wir die Botschaft vermitteln, dass eine liberale Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik, die die Standortbedingungen für die deutschen Unternehmen verbessert, allen nützt - besonders auch den Arbeitnehmern -, dann ist das auch für die Unternehmen wichtig.
Welche aktuellen Beispiele gibt es dafür?
Zum Beispiel bei der Mitbestimmung. Die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes ist ein Schritt in die falsche Richtung. Ohnehin hat nur ein Teil der deutschen Unternehmen einen Betriebsrat. Aber wo er agiert, entstehen erhebliche Reibungsverluste. Ich glaube nicht an die These, dass sich exzessive Rechte für den Betriebsrat zugunsten der betroffenen Unternehmen auswirken. Wenn es wirklich so wäre, dass die Betriebsräte den Unternehmen nützen, dann bräuchte man dafür keine gesetzliche Basis. Dann würden sich die Unternehmen selbst Betriebsräte zulegen, weil das ihre Wettbewerbsposition stärken würde. Wenn man dafür aber doch gesetzliche Regelungen benötigt, dann kann das nur bedeuten, dass die positiven Effekte nicht eintreten. Es handelt sich um eine scheinbare Stärkung der Arbeitnehmer, die zu Lasten der Unternehmen und damit letztendlich doch zu Lasten der Arbeitnehmer geht.
Aber beschlossen ist die Reform?
Ja, das ist ein Teil des Kompromisses zwischen den Gewerkschaften und der Bundesregierung. Lohnzurückhaltung wird jetzt durch solche Regelungen belohnt. Ich weiß nicht, ob der Preis dafür nicht zu hoch ist. Denn die Mitbestimmungsregeln führen dauerhaft zu einer Belastung der Wirtschaft. Sie erhöhen das Streitpotenzial und binden immer mehr Leute auf beiden Seiten für die Auseinandersetzung, die sie damit von der Arbeit abziehen.
Scheinbar Nutzen, in Wahrheit aber Schaden für die Arbeitnehmer: Sehen Sie dafür noch weitere Beispiele?
Da gibt es Vieles. Zum Beispiel den Kündigungsschutz und die Mutterschutzregelungen. Sie führen letztlich nicht zu einem Nutzen für die Frauen, denn diese bekommen geringere Löhne und werden weniger häufig eingestellt als es sonst der Fall wäre. Gewiss braucht man Mutterschutz. Aber da ist der Staat gefordert, nicht die Unternehmen. Wenn es über die Unternehmen geregelt wird, dann ist es letztlich kein Mutterschutz, der dabei herauskommt. So gibt es etliche oft gut gemeinte Maßnahmen, die so lange nicht zu Nettovorteilen führen, wie die scheinbar begünstigten Personen im Wettbewerb mit anderen Personen stehen, die für die Unternehmen billiger sind. Man will bestimmten Arbeitnehmergruppen helfen, nimmt ihnen aber in Wahrheit die Beschäftigungs-Chancen und sorgt dafür, dass ihnen geringere Löhne gezahlt werden. Das alles sind volkswirtschaftliche Erkenntnisse, die essenziell für die Wirtschaftspolitik sind, die aber häufig übersehen werden. Wir betrachten es als unsere Aufgabe, die Öffentlichkeit über die wirklichen Bedingungen und die Funktionsweise der Marktwirtschaft aufzuklären.
Gelingt das immer?
Die deutsche Öffentlichkeit und die deutsche Geisteselite sind - im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern - sehr wenig ökonomisch gebildet. Mehr verbreitet ist immer noch eine humanistische Grundausbildung. Das macht es besonders schwer, die Grunderkenntnisse über den Wirtschaftsablauf zu vermitteln. Umso wichtiger ist es, dass sich Institute wie das ifo Institut dieser Aufgabe verpflichtet fühlen und sich in die wirtschaftspolitische Diskussion einbringen.
Tun das denn andere Institute auch?
Alle Institute versuchen, in dieser Richtung aktiv zu werden. Das ist ihr Auftrag. Die Besonderheit des ifo Instituts liegt in der Mitgliedschaft privater Unternehmen. Das mag auf dem einen oder anderen Feld zu einer prononcierten politischen Position führen, die liberaleren Zielsetzungen folgt, als es bei anderen Instituten der Fall ist. Um seinen Aufgaben noch besser gerecht werden zu können, braucht das Institut aber mehr Mitglieder aus den Unternehmen. Nur, wenn die Mitgliederbasis stärker wird, kann sich das ifo Institut stärker einbringen. Wir leben von den Mitgliedern und für die Mitglieder.
Was haben Unternehmen von einer Mitgliedschaft?
Sie bekommen zum Beispiel 24 Mal im Jahr umsonst unsere Publikationen, den ifo Schnelldienst, Beiträge zu allen möglichen Themen, Analysen und andere Informationen. Außerdem halten wir für unsere Mitglieder Veranstaltungen ab. Zur Jahresversammlung im Juni kommt zum Beispiel Wim Duisenberg, der Präsident der Europäischen Zentralbank. Dort erhalten die Mitglieder Informationen aus erster Hand über die Geld- und Zinspolitik in Europa. Die zentrale Aufgabe ist es, einen Beitrag zur Versachlichung der wirtschaftspolitischen Diskussion zu leisten. Etwa in der Steuerdiskussion: Da bringt das ifo Institut die Interessen der Unternehmen in die Debatte ein.
In welcher Weise können die Unternehmen konkreten Nutzen aus der Arbeit des ifo Instituts ziehen?
Wir haben eine Reihe von Möglichkeiten, den Unternehmen im betriebswirtschaftlichen Sinn zu helfen. So können wir sie zum Beispiel durch unsere umfangreichen Befragungen darin unterstützen, ihre Absatzprognosen zu verbessern.
Wie läuft das genau ab?
Wir befragen jeden Monat 7000 Unternehmen nach ihrer Geschäftslage und ihren Geschäftserwartungen. Den daran beteiligten Unternehmen stellt das ifo Institut als Belohnung die Berichte zur Verfügung, und zwar heruntergebrochen bis auf Branchen und Teilsegmente des Marktes. Das ist eine wichtige Dienstleistung für die Verbesserung der Absatzplanung in den Unternehmen. Unser Geschäftsklimaindex ist Europas wichtigster Konjunkturindikator. In der internationalen Wirtschafts- und Finanzpresse findet er regelmäßig große Resonanz. Er wird auch an den Börsen stark beachtet. Sogar der Euro reagiert darauf.
Wie groß ist der Befragungsraum?
Er erstreckt sich deutschlandweit über die meisten Branchen. Die gesamte gewerbliche Wirtschaft wird dabei einbezogen. Zurzeit sind wir gerade dabei, auch die Dienstleistungszweige zu integrieren. Wir erfassen auch die Internet-Unternehmen. Gerade bei ihnen, aber auch insgesamt bedienen wir uns mehr und mehr der elektronischen Befragung, in die wir bis in etwa zwei Jahren sukzessive alle Unternehmen einbeziehen wollen.
Mit welchen Fragestellungen kann sich denn ein Unternehmen zum Beispiel an das ifo Institut wenden?
Bei den Umfragen kann man vom Kunden gestaltete Fragen mit unterbringen lassen, etwa darüber, wie der Bedarf bei anderen Unternehmen für die eigenen Produkte aussehen wird. Man kann unsere Fachleute aus dem Bereich "Strukturwandel und Branchen" auch zu Spezialfragen Analysen über Markttrends erarbeiten lassen. Wir schreiben im Jahr etwa 200 branchenbezogene Detailberichte, die von der DG-Bank vertrieben werden. Es gibt in Deutschland kein anderes Institut, das über eine ähnliche Detailkenntnis der Branchen verfügt wie das ifo Institut. Viele wissen das nicht, weil wir die umfangreichen Branchenberichte zumeist unter anderem Namen verbreiten.
Unternehmen haben ja oft Interesse an Exklusivinformationen.
Sie können bei uns ohne weiteres Informationen exklusiv für ihre eigenen Zwecke bekommen.
Was kostet das?
Das hängt davon, ab, was man haben will. Mitglieder werden am Telefon häufig umsonst beraten. Will man eine Studie zu konkreten Fragestellungen erarbeiten, wird es teurer. Man muss dann die "Mannmonate" bezahlen, aber wir sind viel billiger und bestimmt nicht schlechter als die privaten Beratungsunternehmen.
Ist so etwas auch für kleine und mittlere Unternehmen geeignet?
Ja. Wenn zum Beispiel eine Investitionsentscheidung getroffen wird, bei der es um ein Volumen von zig Millionen Mark geht, will ich vorher genau wissen, was ich tue und die Investition nicht in den Sand setzen. Bei dieser Unternehmensberaterfunktion, die wir ausüben können, setzen wir hochspezialisierte Fachleute ein. Das kostet natürlich Geld. Aber dem Vergleich mit McKinsey und Arthur Andersen, glaube ich, können wir standhalten, sowohl bei den Kosten als auch bei der Qualität. Wir machen ja keinen Profit.
Also wird das ifo Institut mehr und mehr zum Berater?
Wir sind immer im Beratungsgeschäft tätig gewesen. Darin sehe ich einen Teil unserer Aufgabenstellung. Umfangreiche Analysen einzelner Gebiete und Branchen liegen vor, die dabei genutzt werden können. Über das reichhaltige Angebot können sich Interessenten auf unserer Internet-Homepage informieren. Vieles davon ist exklusiv und sehr aktuell.
Die wissenschaftliche Ausdrucksweise ist aber nicht unbedingt für jedermann verständlich.
Wir richten uns nicht nur an Wissenschaftler. Unsere Mitarbeiter müssen sich natürlich so ausdrücken können, dass es auch Nichtwissenschaftler begreifen.
Nachdem Sie 1999 Präsident des ifo Instituts wurden, haben Sie für dessen Annäherung an das ebenfalls von Ihnen geleitete Center for Economic Studies (CES) an der Münchner Universität gesorgt. Was ist das Ziel dieser Partnerschaft?
Damit gibt es jetzt eine Verbindung zwischen dem ifo Institut und der Universität. Formell hat sie in der CESifo GmbH Gestalt angenommen. Das CES organisiert ein Netzwerk von internationalen Ökonomen, die zu Forschungsaufenthalten nach München kommen. CESifo organisiert die Forschung dieser ehemaligen Gäste und verbindet sie mit der Forschung des ifo Instituts. Dadurch gelingt es uns, in Europa präsent zu sein und die neue europäische Öffentlichkeit, die sich derzeit herausbildet, mit Informationen zu bedienen. Bisher haben wir Deutsche uns viel zu wenig darum gekümmert, was in Brüssel läuft. Allzu oft erfahren wir von den Beschlüssen erst, wenn wir sie ausführen müssen.
Wie könnte man das ändern?
Deutschland muss sich aus der Isolation und der Ignoranz der Beschlüsse in Brüssel befreien und aktiv werden. Das heißt vor allem, dass mehr fähige Beamte aus Deutschland nach Brüssel geschickt werden müssen, um in der europäischen Maschinerie Einfluss zu nehmen. Um die Bereitschaft dazu zu fördern, müssen attraktive Rückkehrmöglichkeiten geschaffen werden. Alles in allem müssen sich die Deutschen mehr in die europäische Diskussion einbringen.
Aber das ist doch nicht die Aufgabe von CESifo.
Natürlich nicht. Bei CESifo geht es darum, dass wir kompetente Diskussionspartner für Europa zur Verfügung stellen. Nur, wenn wir ernst genommen werden, können wir frühzeitig Stimmungen auf der europäischen Bühne kanalisieren und Einfluss nehmen. CESifo ist der Versuch, auf deutschem Boden eine Plattform für die europäische Diskussion zu schaffen. Es gibt nichts Vergleichbares, jedenfalls nicht in Deutschland. Auch international gibt es nur wenige Forschungsinstitute mit Forschernetzwerken im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich, ja streng genommen fehlt eigentlich der Vergleich, weil niemand ein Forschernetzwerk mit einem großen Forschungsinstitut verbindet. Anders als das ifo Institut befasst sich CESifo nicht mit der Beratung von Unternehmen. Der Schwerpunkt wird auf die Wirtschaftsforschung und die Beteiligung an der politischen Diskussion gelegt. Es werden aber Ergebnisse produziert, die von den Regierungen beachtet werden sollten.
Wie weit sind Sie mit der Neuordnung des Instituts?
Die Strukturänderung ist weitgehend abgeschlossen. Die Zahl der Mitarbeiter ist reduziert worden. Zur Zeit sind es etwa 160, früher waren es schon einmal mehr als 200. Anfang der neunziger Jahre war die Belegschaft stark aufgebläht worden. Eine kleinere, schlagkräftige Truppe erlaubt es, sich stärker auf das Kerngeschäft zu konzentrieren.
Gab es auch Abspaltungen?
Ja, wir haben auch Bereiche zugemacht. Wir haben heute zum Beispiel keinen separaten Bereich für die Landwirtschaft mehr. Wir haben vor allem Zweige reduziert, die wirtschaftlich nicht so erfolgreich waren.
Wie wird das ifo Institut finanziert?
Die Finanzierung besteht zu etwa 60 Prozent aus den so genannten Grundmitteln, die von Bund und Ländern gemeinsam stammen. Das ist ähnlich wie bei den Max-Planck-Instituten. Die übrigen 40 Prozent sind Auftragsmittel. Der Wissenschaftsrat hat gefordert, den Anteil der Drittmittelaufträge auf 30 Prozent zu verringern. Vorläufig können wir nicht dahin gehen, weil wir das Geld brauchen, um unsere vielen Service-Leistungen zu finanzieren. Leider reicht das staatliche Geld nicht, die Aufgaben, die wir zum Nutzen der Allgemeinheit erbringen, zu finanzieren.
Wie beurteilen Sie die bayerische Wirtschaftspolitik?
Bayern hat in der Nachkriegszeit ein Wirtschaftswunder erlebt, das immer noch nicht zu Ende ist. Aus einem Agrarland ist eines der Hightech-Zentren Europas geworden. Das Geheimnis ist eine kluge Standortpolitik, wie man sie andernorts nicht findet. Die frühzeitige Versorgung mit billigem Strom, der Bau von Öl- und Gaspipelines, die Herstellung einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur und der Aufbau von Zentren im IT-Bereich und bei der Gentechnik gehören in dieses Bild. Die spezielle Form des bayerischen Merkantilismus wirkt sich auf beeindruckende Weise positiv aus: Da werden kleine "Pflänzchen" der Wirtschaft sorgfältig behütet, Netzwerke aufgebaut und Gründerinitiativen unterstützt. Die in Bayern entstandenen Hightech-Zentren erweisen sich wirklich als wegweisend und zukunftssichernd.
Das widerspricht aber doch der reinen Lehre der Marktwirtschaft?
Gewiss. Und dennoch hat diese Politik günstige Auswirkungen auf die Region. Gerade Oberbayern belegt dies auf eindringliche Weise. Die Wachstumsraten in dieser Gegend sind nach wie vor bemerkenswert, die Arbeitslosenquote äußerst niedrig, und unter allen europäischen Flächenregionen außer den Stadtregionen - hat Oberbayern das höchste Sozialprodukt pro Kopf. Offenbar muss man diese Art von staatlichen Aktivitäten doch zulassen. Der Aufbau von Netzwerken muss als staatliche Aufgabe angesehen werden. Große Unternehmen können sich allein einrichten, aber für mittelständische Netzwerke darf der Staat erste Anstöße geben.
Gegen wirtschaftliche Projekte gibt es allerdings auch regelmäßig Widerstände.
Ich habe Verständnis dafür, dass sich die Einwohner einzelner Gemeinden gegen größere Projekte wenden. Die Gründung von Hightech-Zentren kann aber nicht nur in die Entscheidung einer Gemeinde gelegt werden. Von Unternehmensansiedlungen profitieren wir alle. Niemand will sie in seiner unmittelbaren Nachbarschaft haben. Aber wenn die Zentren bei uns in Deutschland gegründet werden, ist es besser, als dass sie in Frankreich, Italien oder anderswo entstehen. Irgendwo müssen sie ja angesiedelt werden.
Das Interview führte Lorenz Goslich