Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, plädiert dafür, den Euro in den neuen EU-Ländern erst in zehn Jahren einzuführen.
FOCUS: Das Bruttosozialprodukt der zehn Kandidatenstaaten beträgt nur drei Prozent der Wirtschaftskraft der EU-15. Welche Gefahr lauert in dem Gefälle?
Sinn: Brüsseler Fördermilliarden werden in Zukunft verstärkt nach Osteuropa fließen. Das ist in Ordnung, dort muss Entwicklungshilfe geleistet werden. Die ökonomischen Unterschiede bewirken Strukturanpassungen, die mit Härten für viele Menschen einhergehen.
FOCUS: Mit negativen Folgen für Arbeitnehmer im Westen.
Sinn: Arbeitsintensive Unternehmen werden in vielen Fällen den Niedriglohnanbietern aus dem Osten weichen müssen, und gering Qualifizierte werden sich einem wachsenden Konkurrenzdruck ausgesetzt sehen.
FOCUS: Sitzt der Westen in der Falle?
Sinn: Wenn wir flexibel sind, werden die Vorteile überwiegen. Wir können unseren Wohlstand mehren, indem wir uns etwas stärker auf die Produktion jener Güter konzentrieren, die für den Aufbau Osteuropas benötigt werden.
FOCUS: Wann frühestens sollten die neuen Staaten den Euro bekommen?
Sinn: Wir sollten an eine Frist von etwa zehn Jahren denken. Vorher wird man noch Wechselkursanpassungen brauchen, um das richtige Gleichgewicht im internationalen Handel zu finden.
FOCUS: Rechnen Sie damit, dass in Zukunft der Lohndruck auf den westeuropäischen Arbeitsmarkt durch Zuwanderer aus den Kandidatenstaaten verschärft wird?
Sinn: Das lässt sich überhaupt nicht verhindern. Eine zeitweilige Beschränkung der Zuwanderung aus den neuen EU-Ländern, wie sie die Kommission plant, ist keine Lösung. Sie würde nur noch mehr ökonomische Aktivitäten zu Lasten des Westens in die neuen EU-Länder verlagern, als es wegen unserer hohen Löhne ohnehin schon der Fall ist. Lässt man den Marktkräften freien Lauf, so wird sich vieles zum Guten wenden.
Wirtschaftsexperte - Der Volkswirt Hans-Werner Sinn leitet seit 1999 das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung