Ökonom Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner Ifo-Instituts, über die Ursachen der Arbeitslosigkeit
SPIEGEL: Herr Sinn, wie kommen Sie zu der Einschätzung, dass nur 15 Prozent der Arbeitslosigkeit in Deutschland der schlechten Konjunktur angelastet werden können, 85 Prozent dagegen andere Ursachen haben?
Sinn: Die Arbeitslosigkeit hat sich in den vergangenen 30 Jahren aufgebaut. Wir hatten 1970 nur 150 000 Arbeitslose. In diesem Jahr erwarten wir 4,3 Millionen. Der Trend ist eindeutig und ungebrochen. Wir sind auf einem schiefen Gleis.
SPIEGEL: Heißt das im Umkehrschluss, dass der nächste Aufschwung, egal wie stark er wird, wenig an der Beschäftigungsmisere ändert?
Sinn: Das heißt es und dass die Arbeitslosigkeit im nächsten Abschwung erneut höher sein wird als im jetzigen. Der Konjunkturverlauf bringt nur eine Schwankung von rund 500 000.
SPIEGEL: Wo liegt die Ursache?
Sinn: Die deutsche Wirtschaft ist einem doppelten Wettbewerb ausgesetzt, einer Niedriglohn-Konkurrenz auf den Absatzmärkten der Welt und einer Hochlohn-Konkurrenz zu Hause durch den Sozialstaat.
SPIEGEL: Also runter mit den Sozialleistungen?
Sinn: Nicht ganz so platt. Wir zahlen heute das Geld an die Bedürftigen unter der Bedingung, dass sie nicht arbeiten. Ob es nun Vorruhestand, Arbeitslosengeld und -hilfe oder Sozialhilfe ist, es ist Lohnersatz.
SPIEGEL: Also doch Abbau?
Sinn: Umbau. Wir müssen einen Teil dieses Geldes auszahlen als Lohnzuschüsse nach der Devise, dass jeder, der arbeiten kann, sich nach seinem Vermögen einbringt und verdient, was immer die Produktivität dieser Tätigkeit hergibt. Dieses Einkommen kann, wenn es als zu niedrig empfunden wird, durch einen staatlichen Zuschuss angehoben werden. Ein solcher Sozialstaat träte nicht mehr in Lohnkonkurrenz zur Wirtschaft.