60 Jahre nach Keynes` Tod
Der Keynesianismus kann konjunkturelle, nicht aber strukturelle Probleme lösen
Von Hans-Werner Sinn
John Maynard Keynes ist der Theoretiker des ökonomischen Ungleichgewichts. Tausch findet nicht nur - wie es die klassische Theorie unterstellt - bei geräumten Märkten statt, also erst nachdem Preise und Löhne sich auf ihr Gleichgewicht eingependelt haben. Vielmehr kann der Tausch auch bei "falschen" Preisen und Löhnen vollzogen werden. Es kann dann ein Rationierungsgleichgewicht zustande kommen, bei dem eine unzureichende Güternachfrage Arbeitslosigkeit erzeugt.
Keynes hat bahnbrechende Erkenntnisse zur Natur und zu den Determinanten dieses Rationierungsgleichgewichts geliefert, die noch heute ihren festen Platz in der Konjunkturtheorie haben. Auch das Ifo-Institut bedient sich der keynesianischen Theorie, wenn es darum geht, die Konjunkturzyklen zu analysieren und kurzfristige Prognosen zu Änderungen des Auslastungsgrades des Produktionspotenzials zu erstellen.
Dessen ungeachtet weiß man heute auch, wo die Grenzen der keynesianischen Analyse liegen. So ist spätestens seit den Arbeiten von Robert Clower, Robert Barro und Herschel Grossman in den 60er Jahren klar, dass Arbeitslosigkeit und Ungleichgewicht ganz andere Ursachen als ein Nachfragedefizit haben können. Genauso wichtig sind angebotsseitige Beschränkungen, wie sie zum Beispiel durch einen überhöhten Reallohnsatz ausgelöst werden. Nur handelt es sich dabei nicht um konjunkturelle, sondern um strukturelle Probleme, die auf mittlere und längere Frist Bestand haben können.
In der Realität addieren sich die Gründe der Arbeitslosigkeit. Rigide und überhöhte Löhne erzeugen eine langfristige Sockelarbeitslosigkeit, und eine durch Nachfragedefizite verursachte Arbeitslosigkeit tritt zyklisch hinzu. Nach Einschätzung der Industrieländerorganisation OECD liegt der keynesianische Anteil der deutschen Arbeitslosigkeit bei etwa einem Siebtel.
Kurzum: Die keynesianische Unterbeschäftigung ist eine ernst zu nehmende Krankheit der Ökonomie. Sie zu erkennen und zu therapieren war eine hervorragende intellektuelle Leistung eines großen Ökonomen. Aber natürlich gibt es noch andere Krankheiten, und leider sind diese anderen Krankheiten derzeit dominant.
Hans-Werner Sinn ist Präsident des Münchner Ifo-Instituts.