Ein Anzug vom Schreiner?

Autor/en
Hans-Werner Sinn
WirtschaftsWoche, 03.06.2006, S. 178

Hans-Werner Sinn über die Kombilohnvorschläge der CDU/CSU

Die CDU/CSU hat ihre Kombilohnvorschläge auf den Tisch gelegt. Aus Angst, dass der Kombilohn zu teuer wird, will sie die Lohnzuschüsse auf Teilgruppen des Arbeitsmarktes begrenzen. Die Angst ist begründet. Unter keinen Umständen kann man alle entlassenen Arbeitnehmer dauerhaft bezuschusst in den Arbeitsmarkt zurückschleusen. Das wäre unbezahlbar.

Aber man kann die Begrenzung nicht so durchführen, wie die Generalsekretäre der Union es wollen, nämlich durch eine Beschränkung auf die so genannten Langzeitarbeitslosen und die Jungen, die neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Wenn diese Gruppen wie geplant zu 40 Prozent bezuschusst werden, wird man kaum mehr als einen Verdrängungseffekt erreichen. Neue Arbeitsplätze wird es nicht geben. Das liegt am so genannten Marginalprinzip, einem der fundamentalen Gesetze der Ökonomie.

Nach dem Marginalprinzip werden Marktpreis und Transaktionsvolumen auf Konkurrenzmärkten immer nur durch die Anbieter mit den höchsten Kosten bestimmt, die sich gerade noch auf dem Markt halten können: Die Teuren machen die Preise, und die Billigen machen die Gewinne. Man stelle sich vor, auf dem Markt für Autos gibt es anfangs nur gleichermaßen teure einheimische Händler. Der Preis der Autos ist so hoch, dass diese Händler gerade noch zurechtkommen. Nun wird ein begrenztes Kontingent billiger Reimporte auf den Markt geworfen. Da der Preis der von den einheimischen Händlern verkauften Autos nicht fallen kann, kann auch das gesamte Absatzvolumen nicht steigen. Die Reimporte werden die von einheimischen Händlern verkauften Autos vollständig verdrängen.

Auf dem Arbeitsmarkt ist es ganz ähnlich. Derzeit gibt es nur teure Anbieter von Arbeitsleistungen. Zu deren Lohnkosten gibt es nicht genug Stellen. Nun will die CDU/CSU bislang Arbeitslose zu niedrigeren Lohnkosten einschleusen, indem den Unternehmen ein Teil der Lohnkosten erstattet wird. Die Folge wird sein, dass die bezuschussten Arbeitskräfte voll beschäftigt werden, weil sie billiger als die anderen sind. Da aber die anderen Arbeitskräfte deshalb nicht weniger verlangen können, kann sich auch das gesamte Beschäftigungsvolumen nicht ändern. Nach Ausschöpfung der Kontingente der bezuschussten Arbeitnehmer sind es nämlich nur die normalen Arbeitskräfte, deren Lohnkosten bei der Entscheidung über neue Arbeitsplätze eine Rolle spielen. Insofern muss mit einem praktisch vollkommenen Verdrängungseffekt gerechnet werden. Das Ganze kostet viel Geld, und der Arbeitsmarkteffekt wird null sein.

Es würde sich wiederholen, was die Politik mit den 400-Euro-Jobs schon einmal versucht hat. Da die Empfänger von Lohnersatzleistungen von der Abgabenbefreiung nichts hatten, weil der Vorteil vom Transferentzug geschluckt wurde, haben sie ihre Arbeit nicht billiger anbieten können als zuvor. Deshalb kamen nun die Schüler, Studenten, mitarbeitenden Ehepartner und Rentner ins Spiel, denen kein Transferentzug drohte und die deshalb niedrigere Anspruchslöhne hatten. Sie verdrängten die Normalarbeitnehmer eins zu eins, aber da sie nur eine Teilgruppe des Arbeitsmarktes darstellten, die den Markt als Ganzes gar nicht erobern konnte, ergaben sich keinerlei Auswirkungen auf die Gesamtbeschäftigung.

Jedweder Versuch, die Beschäftigung zu erhöhen, indem Teilgruppen eines Marktes bezuschusst werden, während die Ansprüche der normalen Arbeitnehmer fixiert bleiben, ist zum Scheitern verurteilt. Entweder werden alle Anbieter eines Marktes bezuschusst oder keiner. Zwischenlösungen machen keinen Sinn. Nur wenn man alle bezuschusst, kann man sicherstellen, dass die Grenzanbieter von Arbeit billiger werden und das Transaktionsvolumen steigt.

Das heißt nicht, dass Kombilöhne nur mit immensen Kosten möglich sind. Die Kosten lassen sich nämlich dadurch klein halten, dass die Bezuschussung statt auf Teile der Arbeitnehmerschaft innerhalb der jeweiligen Arbeitsmärkte auf eine Teilgruppe der Arbeitsmärkte selbst beschränkt wird. Konkret kann man speziell nur die Geringverdiener bezuschussen, die in der Regel gering qualifiziert sind und deshalb nur bestimmte, abgegrenzte Arbeitsmärkte bevölkern.

Das genau ist das Konzept der Aktivierenden Sozialhilfe, die am unteren Rand der Einkommensverteilung allen, auch den schon beschäftigten Arbeitnehmern, persönliche Lohnzuschüsse gewährt und insofern dort flächendeckend die Lohnansprüche senkt und zudem für einen sozialen Ausgleich sorgt. Der Ifo-Vorschlag zur Aktivierenden Sozialhilfe, der sich sehr leicht durch eine Modifikation des Arbeitslosengeldes II realisieren lässt, würde dem Staat bereits kurzfristig acht Milliarden Euro jährlich ersparen, mittelfristig 3,2 Millionen Menschen in Arbeit und Brot bringen und den Lebensstandard der Geringverdiener deutlich über das Hartz-IV-Niveau hinaus erhöhen. Aber man könnte auch die Variante des Sachverständigenrates oder jene des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft nehmen, die ganz ähnlich gestrickt sind.

Volkswirte wundern sich bisweilen, dass Politiker das Rad neu erfinden wollen und dabei Fehler in ihren Gesetzen machen, weil sie nur juristisch und politisch denken und selbst die einfachsten Gesetze der Ökonomie außer Acht lassen. Beim Kombilohn ist das wieder einmal so. Warum vertraut die Union nicht dem Sachverstand der Fachleute, die sich mit der Thematik lange beschäftigt haben und zu einem einhelligen Vorschlag gekommen sind? Man bringt die Schuhe ja auch nicht zum Bäcker, wenn sie kaputt sind, oder lässt sich vom Schreiner einen Anzug nähen.

Hans-Werner Sinn ist Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und einer der renommiertesten Ökonomen des Landes.