Gastkommentar
Aufschwung ja / Trendwende nein / Von Hans-Werner Sinn
Der Nikolaus war ein türkischer Derwisch, der im Mittelalter durch Europa reiste, sich als Inkarnation des griechischen Nikolaus von Myra ausgab und Geschenke an die Kinder verteilte. Im 17. und 18. Jahrhundert trugen ihn deutsche Einwanderer nach Amerika, von wo aus er sich in die Welt verbreitete. 2006 kam der Nikolaus wieder aus Deutschland, diesmal mit einem Sack voll guter Konjunkturnachrichten.
Der Ifo-Klimaindex erreichte im Herbst 2006 seinen höchsten Wert seit der deutschen Vereinigung. Nach Jahren der Stagnation wuchs die deutsche Wirtschaft 2006 um 2,5 Prozent. Und trotz der Mehrwertsteuererhöhung wird 2007 die Wirtschaft immer noch um knapp 2 Prozent wachsen.
Das sind nicht nur für Deutschland gute Nachrichten, sondern auch für Europa, denn das Klima im deutschen verarbeitenden Gewerbe reflektiert das Wirtschaftsklima im Rest Europas, weil die meisten deutschen Exporte dorthin gehen. Im Jahr 2006 sind die Volkswirtschaften der Eurozone vermutlich um 2,7 Prozent gewachsen, für 2007 können immerhin noch 2,2 Prozent erwartet werden. Freilich gibt es innerhalb Europas erhebliche Unterschiede: Spitzenreiter beim Wachstum waren 2006 Finnland mit 5,8, Irland mit 5,2 und Spanien mit 3,7 Prozent, von den osteuropäischen Ländern, die als Nachzügler ohnehin schneller wachsen, einmal abgesehen. Schlusslichter waren Portugal und Italien mit Wachstumsraten von nur 1,5 und 1,7 Prozent. Auch Frankreich tat sich mit nur 2,1 Prozent erstaunlich schwer, hatte es doch bislang stets vor Deutschland gelegen.
Es wäre verfehlt, Deutschland als die Wachstumslokomotive Europas zu bezeichnen, denn noch immer liegt das deutsche Wachstum unter dem Durchschnitt der Euroländer. Bedenkt man jedoch, dass Deutschland neben Italien in den Jahren 1995 bis 2005 das Schlusslicht beim Wachstum war und dass es die bei Weitem größte Volkswirtschaft Europas ist, so können die guten Wirtschaftsnachrichten aus Deutschland sehr wohl Erleichterung auslösen. Während die US-Wirtschaft zu stagnieren beginnt, ist der Aufschwung auf dieser Seite des Atlantiks in Gang gekommen.
Deutschland hat zunächst sehr stark von einer weiteren Steigerung der Exportziffern profitiert. Die deutschen Exporte stiegen 2005 um 6,9 und 2006 um 11,2 Prozent. Inzwischen ist jedoch auch die Binnennachfrage nach Investitionsgütern in Gang gekommen. Einerseits musste die Exportindustrie ihre Kapazitäten ausweiten, andererseits hat der normale Ersatzzyklus bei den Kapitalgütern neue Investitionen nötig gemacht. Die zusätzlichen Investitionen bedeuteten neue Stellen beim Bau und in der Maschinenbauindustrie, bringen aber auch natürlich in der Zukunft neue Stellen bei den Unternehmen, die diese Investitionen tätigen.
Entgegen anders lautenden Kommentaren kann der Konjunkturaufschwung noch nicht als Trendwende in der längerfristigen Wirtschaftsentwicklung gesehen werden. Seit 1970 gibt es in Deutschland ein ganz regelmäßiges Muster für die Konjunktur: In der ersten Hälfte des Jahrzehnts nahm die Arbeitslosigkeit zu, und in der zweiten nahm sie wieder ab, wobei der Tiefpunkt der Arbeitslosigkeit stets ziemlich genau auf das volle Jahrzehnt beziehungsweise das darauf folgende Jahr fiel. Das zyklische Muster war stets von den Ausrüstungsinvestitionen getrieben und folgte den Vorhersagen des Multiplikator-Akzelerator-Modells der volkswirtschaftlichen Theorie. Leider nahm die Arbeitslosigkeit von Boom zu Boom zu. Die Tiefpunkte der Arbeitslosigkeit liegen auf einem linear ansteigenden Trend, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.
Es ist heute noch viel zu früh, eine Änderung des Trends zu proklamieren. 2006 ging die Arbeitslosigkeit von 4,9 auf 4,5 Millionen zurück, und für 2007 kann man einen weiteren Rückgang auf 4,1 Millionen erwarten. Ob es danach möglich sein wird, unter den kritischen Wert von 3,89 Millionen zu kommen, der das Minimum der Arbeitslosigkeit beim letzten Boom im Jahr 2000 kennzeichnet, bleibt abzuwarten. Man muss die weitere Wirtschaftsentwicklung bis in das nächste Jahrzehnt hinein beobachten, um ein Urteil über eine mögliche Trendwende bei der strukturellen Entwicklung der deutschen Arbeitslosigkeit fällen zu können.
Dessen ungeachtet gibt es allen Grund, sich über den derzeitigen Aufschwung zu freuen. Mit etwas Glück könnten die guten Zeiten für Deutschland und Europa im Ganzen bis zum Ende des Jahrzehnts andauern.
Der Autor ist Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München.