Der Münchner Wirtschaftsexperte Hans-Werner Sinn über den Abschied des sächsischen Ministerpräsidenten
Leipzig. Hans-Werner Sinn (60), Präsident des Münchner Ifo-Instituts, kennt Georg Milbradt (63) seit fast 40 Jahren. Zum ersten Mal begegneten sich beide an der Universität Münster - der Wirtschaftsexperte damals als Student, der sächsische Regierungschef als Assistent. Im Interview äußert sich Sinn zu Milbradts Abschied.
Frage: Auf dem CDU-Parteitag in Zwickau erlebt Georg Milbradt heute seinen letzten großen öffentlichen Auftritt. Wie bewerten Sie den Rückzug?
Hans-Werner Sinn: Im Alter von 63 Jahren muss man das respektieren. Milbradt hat dem Land Sachsen seit der deutschen Vereinigung gedient. Und irgendwann denkt man auch an alternative und ruhigere Lebensphasen, deshalb kann ich diese Entscheidung nachempfinden.
Wie schätzen Sie die Folgen ein?
Milbradts Schritt ist bedauerlich für Sachsen. Er hat Großartiges für das Land geleistet und er hätte das noch weiter tun können.
Vor dem Landtag wird Milbradt nicht mehr reden. Es ist also eher ein stiller Abgang. Sein letzter Schachzug?
Er will einen harmonischen und raschen Wechsel erreichen. Den Übergang hat er staatsmännisch arrangiert. Dazu gehört auch, dass er nicht mehr so viel Aufhebens darum macht. Milbradt hat sich nie in der Öffentlichkeit zelebriert, da passt der Abgang.
Akten-Affäre und Landesbank-Krise haben Sachsens Ruf ramponiert. Viele sagen aber auch, dass das öffentliche Bild schlechter sei als die tatsächliche Lage. Stimmt diese Wertung?
Fakt ist, Sachsen hat das höchste Wirtschaftswachstum, und unter den neuen Ländern bei weitem die niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung. Das wäre selbst dann so, wenn man die Lasten der Sachsen-Landesbank mit einrechnen würde, die man Milbradt übrigens nicht persönlich anlasten kann. Er saß meines Wissens das letzte Mal 2002 im Aufsichtsrat.
Eine Umfrage dieser Zeitung ergab, dass über die Hälfte der Sachsen Milbradts Regierungszeit positiv bewertet. Kommt sein Rücktritt verfrüht?
Ökonomisch für Sachsen auf jeden Fall. Die politischen Dinge liegen auf einer Ebene, die ich nicht beurteilen kann. Milbradt hat in Sachsen nach der Vereinigung als Finanzminister aus dem Nichts heraus eine moderne Verwaltungsstruktur aufgebaut. Er hat seine wissenschaftliche und praktische Kompetenz eingesetzt, um aus der Retorte einen modernen Staat für die Demokratie zu schaffen.
Das hat er nicht allein geschafft.
Zusammen mit Kurt Biedenkopf hat er hervorragende Arbeit geleistet. Die beiden waren ein höchst effizientes Team. Die Kärrnerarbeit bei der praktischen Umsetzung der Politik lag bei Milbradt. Er hat es geschafft, die Finanzen und die wirtschaftliche Entwicklung Sachsens so zu steuern, dass der Freistaat heute mustergültig dasteht.
So richtig gewürdigt wird das in Sachsen allerdings nicht.
Es ist mir absolut unverständlich, wie die Diskussion hier läuft. Die Kritiker und politischen Gegner leugnen offenbar wider besseren Wissens, dass unter höchstem persönlichen Einsatz ungeheure Leistungen für das ganze Land Sachsen vollbracht wurden. Dank der Politik von Biedenkopf und Milbradt hat sich Sachsens Wirtschaftsentwicklung ganz klar vom Trend der neuen Bundesländer abgehoben.
Als Fachmann erstklassig, als Politiker mit Schwächen in der öffentlichen Darstellung. Warum kam Milbradt nicht raus aus seiner Haut?
Er ist kein Selbstdarsteller. Er ist jemand, der die Dinge bewegen und vorantreiben will. Seine Stärken sind Sachverstand, Hartnäckigkeit und Fleiß.
Das Ehepaar Milbradt geriet unter Druck wegen eines persönlichen Investmentgeschäfts mit der Landesbank. War der oberste Dienstherr der Landesbank da gut beraten?
Im Nachhinein weiß man alles besser. Anstatt das Geld irgendwo auf der Welt anzulegen, hat Milbradt es im Lande gehalten und Konditionen in Anspruch genommen, wie sie jedem Bürger zur Verfügung standen. Seine Frau hatte Geld geerbt, und das musste angelegt werden. Für manche Leute scheint es schon ein Problem zu sein, wenn jemand überhaupt Geld zur Verfügung hat.
Was bleibt von der Milbradt-Ära?
Nicht nur die Haushaltskonsolidierung, sondern der gesamte wirtschaftliche und soziale Kurs Sachsens trägt seit mehr als 15 Jahren Milbradts Handschrift. Sachsen hat es im Gegensatz zu anderen Ost-Ländern verstanden, anfangs reichlich fließende Gelder nicht in Spaßbäder oder Tennisanlagen zu stecken. Hier wurde die Infrastruktur gefördert, es gab keine Verschwendung. Das zahlt sich heute aus. Sachsen wird noch Jahrzehnte von Milbradts Kurs profitieren.
Wo lagen Milbradts Versäumnisse?
Gewiss nicht in Sachsen. Ich hätte mir von ihm allerdings eine stärkere Präsenz in der Bundespolitik gewünscht. Wir haben ja sonst wenig Volkswirte in der Politik.
Zuletzt wurde Milbradt vorgeworfen, er habe als Westfale keinen Draht zu den Sachsen. Ist die regionale Herkunft so wichtig in der Landespolitik?
Manche sehen das wohl so. Wer sich aber so für Sachsen aufgeopfert und die Beziehungen zum polnischen Nachbarn gepflegt hat wie er, dem sollte man seine Herkunft nicht vorwerfen.
Können Sie sich Milbradt im Ruhestand vorstellen?
Im Ruhestand eigentlich nicht, eher im Unruhestand. Ich wünsche den Sachsen, dass er ihnen weiterhin mit seinem Wissen und seiner Tatkraft zur Verfügung steht.
Interview: André Böhmer
Auch erschienen in:
Dresdner Neueste Nachrichten, 24.05.2008, S. 3