Konstruktionsfehler des Rettungspakets

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.2008, Nr. 245, S. 14

Die Staaten des Westens haben ein Rettungspaket für ihre Banken im Umfang von über 2200 Mrd. Euro geschnürt. Deutschlands Paket, das am Wochenende vom Bundestag in einer beispiellosen Notstandsgesetzgebung durchgepeitscht wurde, ist mit 480 Mrd. Euro so groß wie das der USA. Deutschland scheint mehr von der Subprime-Krise betroffen zu sein, als es zunächst den Anschein hatte. Mit einem Kapitalexport von knapp 170 Mrd. Euro war Deutschland im Jahr 2007 nach China der größte Finanzier des Welt-Kapitalmarktes, auf dem sich die USA zunehmend durch den Verkauf windiger Wertpapiere finanzierten.

Weil Amerikas Privathaushalte aufgehört hatten zu sparen und in der Summe sogar Hypothekenkredite zur Konsumfinanzierung einsetzen, mussten sich die USA immer mehr im Ausland verschulden. In der letzten Zeit lag der Kapitalimport der USA stets über 600 Mrd. Dollar pro Jahr; mit 5,5% des Bruttoinlandsprodukts sprengte er sämtliche historische Dimensionen. Um den Kapitalimport zu ermöglichen, hatten die amerikanischen Banken einen neuen Typ von Wertpapieren erfunden, bei dem der Inhaber keine Ansprüche gegen den Emittenten, sondern gegen andere Wertpapiere erhielt, die selbst allzu häufig auch nur Ansprüche gegen Wertpapiere verkörperten. Irgendwo am Ende der Anspruchskette stand eine Hypothek, aber die war allzu häufig nicht hinreichend gedeckt. Rating Agenturen, die mit den Investment-Banken unter einer Decke steckten, hatte das Ihre getan, die Käufer der Wertpapiere in Sicherheit zu wiegen.

Heute ist klar, dass das Geld, das den amerikanischen Hauseigentümern geliehen wurde, vielfach nicht mehr zurück kommen wird, weil die Hauspreise fallen und die Banken nach amerikanischem Recht keine Durchgriffshaftung gegen das Arbeitseinkommen unterdurchschnittlich verdienender Kreditnehmer haben. Die Eigentümer der Kreditbriefe, allen voran die deutschen und britischen Banken, müssen deshalb hohe Abschreibungen auf ihre Forderungen vornehmen. Dadurch entsteht eine Unterdeckung ihres Geschäftsvolumens durch Eigenkapital, die zu Reaktionen zwingt. Um ihre Bilanzen wieder ins Gleichgewicht zu bringen, haben die Banken im Prinzip die Möglichkeit, sich durch Ausgabe neuer Aktien frisches Eigenkapital zu beschaffen oder ihr Geschäftsvolumen in Proportion zu den Abschreibungen zu verringern. Angesichts der niedrigen Kurse der Bankaktien ist Eigenkapital derzeit auf dem Markt nur mit Mühe zu bekommen. Die Senkung des Geschäftsvolumens durch Verringerung der aufgenommenen und ausgeliehenen Kredite wird deshalb vielfach unvermeidlich sein. Für die deutsche Wirtschaft, die auf die Finanzierung ihrer Investitionen durch die Banken angewiesen ist, bedeutet dies die Gefahr einer Kreditklemme und damit einer Übertragung der Probleme der Banken in die Realwirtschaft.

Der deutsche Rettungsplan soll die Kreditklemme verhindern, indem er den Banken staatliches Eigenkapital im Umfang von bis zu 80 Mrd. Euro zur Verfügung stellt, immerhin ein Fünftel des Eigenkapitals, über das sie im Sommer noch verfügten. Der Staat bietet sich den Banken als Anteilseigner an, um sie vor dem Kollaps zu bewahren und in den Stand zu versetzen, ihre Ausleihungen an die Wirtschaft im gewohnten Umfang fortzusetzen. Außerdem bietet er Bürgschaften, um den Banken die Kreditaufnahme zu erleichtern, und steht bereit, ihnen problematische Wertpapiere abzukaufen. Dafür stehen 400 Mrd. Euro zur Verfügung.

Der Staat knüpft seine Hilfen an eine Reihe von Auflagen, die durch Rechtsverordnungen weiter präzisiert werden. Problematisch ist vor allem eine Begrenzung der Gehälter der leitenden Angestellten auf 500 Tausend Euro pro Jahr. Diese Auflage wird zwar den Insolvenzschutz nicht gefährden, denn bevor eine Bank pleite geht, wird sie trotz der Auflage das staatliche Geld in Anspruch nehmen. Die Auflage wird jedoch verhindern, dass Banken, die geschwächt, aber nicht gefährdet sind, das staatliche Eigenkapital annehmen. Bei der Wahl zwischen der Reduktion des Geschäftsvolumens in Proportion zum reduzierten Eigenkapital und der Unterlegung des alten Geschäftsvolumens mit staatlichem Eigenkapital wird sich der Vorstand stets für die erste der Alternativen entscheiden, um eine Kürzung des eigenen Gehalts zu vermeiden.

Das Vorstand wird dabei nicht einmal gegen das Interesse seiner Aktionäre handeln, denn deren Rendite steigt ja nicht, wenn sie einen staatlichen Mitaktionär akzeptieren, der zu fairen Konditionen beteiligt werden will und Anspruch auf Dividenden erhebt. Auch der Aufsichtsrat kann die Vorstände deshalb nicht zu einer Annahme des staatlichen Kapitals zwingen.

Damit zeigt sich ein gravierender Konstruktionsfehler des deutschen Rettungspakets. Man kann die Entscheidung über die Annahme der Hilfen nicht in das Belieben der Banken stellen und die Manager im Fall der Annahme zugleich mit Gehaltskürzung bedrohen. Wenn man die dringend notwendige Rekapitalisierung des Bankensystems erreichen will, muss man entweder auf die Gehaltsbegrenzung verzichten oder die Annahme des staatlichen Kapitals erzwingen. Sonst wird das Programm ein Flop.

Kein anderes Land begrenzt die Manager-Gehälter wie Deutschland. In Irland hat der Finanzminister Sympathie für eine Gehaltsbegrenzung geäußert, doch werden keine Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen. In Großbritannien werden nur die Boni für das Jahr 2008 verboten. Viele Länder haben zwar angekündigt, auf eine Entlohnung der Manager zu drängen, die deren Interesse an langfristigen Erfolgszielen stärkt. Doch hat das mit einer Gehaltsbegrenzung nicht zu tun. Nur die USA sind vergleichsweise strikt. Dort wird der über 500 Tausend Dollar hinausgehende Teil der Managergehälter wie Dividenden besteuert, also der Körperschaftsteuer und der persönlichen Einkommensteuer unterworfen, wenn eine Bank staatliche Hilfen in Anspruch nimmt. Finanzminister Paulsen hat indes alle großen Banken zu Annahme des staatlichen Eigenkapitals gezwungen. Nur Deutschlands Politiker leben in der Illusion, dass die Manager sich freiwillig werden bestrafen lassen.