INTERVIEW. Wirtschaftsforscher Sinn warnt vor einem Alleingang Europas beim Klimaschutz. Das würde nur den Verbrauch anderswo steigern.
Die Presse: Was soll der EU-Gipfel in Sachen Klima- und Energiepaket bringen, welches Ergebnis wäre sinnvoll?
Hans-Werner Sinn: Der Gipfel sollte auf die Konferenz von Kopenhagen 2009 vorbereiten, bei dem ein neues internationales Klimaabkommen zustande kommen soll. Der Gipfel sollte eine Verhandlungsstrategie für Europa für diese Konferenz festsetzen. Nämlich: Wir erfüllen rund 20 Prozent Einsparung beim CO-Ausstoß – vorausgesetzt, die Amerikaner, Chinesen und Inder machen mit.
Vorausgesetzt, sie tun das nicht: Sollte sich Europa von seinem 20-Prozent-Ziel verabschieden?
Sinn: Ja. Denn es kostet nur Geld und bringt dann nichts. In dem Maß, in dem wir beim CO-Ausstoß einsparen, reduzieren wir auch die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen auf den Weltmärkten. Unser Vorgehen würde zu einer Preissenkung und einer Subvention des Energieverbrauchs der anderen Verbraucherländer führen. Was hier nicht verbrannt wird, wird dann anderswo verbrannt. Wir müssten sicherstellen, dass durch unsere Maßnahmen ein Teil des Öls im Boden bleibt, aber das geht nur, wenn alle weniger Öl kaufen.
Hat sich Europa verrannt, ist es auf dem Irrweg?
Sinn: Es ist schon richtig, dass Europa mit gutem Beispiel vorangegangen ist. Wir haben ja bereits erhebliche Einsparungen vorgenommen, allen voran Deutschland. Bevor man aber neue, schmerzliche Schritte tut, müsste man die Mitarbeit anderer Länder einfordern. Wenn wir das Klima schon allein retten, brauchen die anderen sich ja nicht mehr anzustrengen. Je mehr wir einsparen, desto mehr können die anderen verbrauchen, ohne dass die Erde wärmer wird, und desto mehr werden sie auch verbrauchen, denn schließlich muss das extrahierte Öl ja irgendwo hin.
Zu den weiteren Klimazielen der EU neben der CO-Reduktion: Mindestens ein 20-Prozent-Anteil erneuerbarer Energie am Energiemix, 20 Prozent mehr Energieeffizienz, zehn Prozent Biosprit – halten Sie das für sinnvoll?
Sinn: Wenn man es unilateral macht, nicht. Das würde die Industrie in Europa massiv schädigen. Und für den Verbraucher würde es den Lebensstandard senken, weil er höhere Preise zahlen müsste.
Von welcher Dimension gehen Sie dabei aus?
Sinn: Der Windstrom ist 80 Prozent teurer als der normale Kohlestrom. Und der Sonnenstrom ist zehnmal so teuer. Je mehr von diesem Strom wir kaufen müssen, desto niedriger ist unser Lebensstandard.
Wie groß ist die Gefahr der Abwanderung von Unternehmen in Nicht-EU-Länder?
Sinn: Wir haben ohnehin sehr hohe Lohnkosten in Europa im Vergleich zu den asiatischen Ländern. Die hohen Energiekosten kämen noch dazu. Wenn die anderen nicht mitmachen, ist die Gefahr der Abwanderung groß.
Können Sie das Argument nachvollziehen, die europäische Wirtschaft hätte einen Vorsprung im weltweiten Wettbewerb, würde sie jetzt schon stärker neue Technologien entwickeln?
Sinn: Ja, aber das gilt für innovative Technologien insgesamt. Eine Sonderrolle der erneuerbaren Energien kann ich nicht entdecken.
Hat die Finanzkrise den Drang verursacht, dass man in der EU wieder vom grünen Weg – mehr Umweltschutz – abkommen will?
Sinn: Man merkt jetzt, dass es doch sehr teuer ist, was die EU vorschlägt. Der Verkauf der Emissionszertifikate (Verschmutzungsrechte, Anm.) trifft die deutsche und österreichische Industrie, aber auch die Stromerzeugung in diesen Ländern. Die Franzosen verbünden sich mit den Grünen und treten kalt lächelnd als Umweltapostel auf, weil sie wissen: Viel Industrie haben wir ohnehin nicht, und unseren Atomstrom können wir dann ertragreich nach Deutschland und Österreich verkaufen. Gleichzeitig freuen sich die Chinesen und Amerikaner über die niedrigen Preise für Kohle und Öl. Ich bin für weltweite Umweltpolitik, aber gegen noch mehr einseitige Vorleistungen.